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Fuer den Rest des Lebens

Fuer den Rest des Lebens

Titel: Fuer den Rest des Lebens
Autoren: Zeruya Shalev
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ihn ihr vor einigen Monaten auf die Knie gesetzt, beim letzten Festessen, und gleich hat er ein Glas Wasser über sich gekippt, und als sie ihm das Hemd überstreifen wollte, zog er plötzlich den nackten Arm heraus und betrachtete ihn erstaunt, als sähe er ihn zum ersten Mal, bewegte ihn nach oben, nach unten, betastete ihn, leckte an ihm und rieb ihn dann heftig an der weichen Haut seines Bauchs und genoss die Berührung. Ein jungfräulicher Liebestanz war das, eine Hymne der Selbstliebe, falls das Bewusstsein eines Babys überhaupt erfasst, dass es um seinen eigenen Körper geht. Auch ihr fällt es schwer, ihren alten Körper zu akzeptieren, ihr kommt das Alter noch immer wie Schmutz vor, der im Lauf der Jahre an ihr kleben geblieben ist, oder wie eine vorübergehende Krankheit, eine Art Aussatz, und sobald sie den See erreicht, sobald sie in sein Wasser taucht, wird ihr Körper gesunden wie der Körper des Feldhauptmanns des Königs von Syrien, der sich sieben Mal mit Jordanwasser wusch und vom Aussatz geheilt wurde.
    Komm, Chemda, stell deine Fußsohle auf den Boden, halte dich an der Wand fest und richte dich auf, neben dem Bett wartet dein Stock auf dich, aber du brauchst ihn nicht, du brauchst nur mich, wie damals, als du Unterschlupf unter den Fächern des Schilfs gesucht hast. Erinnerst du dich, wie du im Winter nackt geschwommen bist, wie du im Wasser triebst, bis deine Haut gebrannt hat, bis du krank geworden bist und dein Vater dir nicht mehr erlaubt hat, hierherzukommen, und trotzdem hast du dich immer wieder heimlich zu mir geschlichen, hast deine Kleider am Ufer ausgezogen, und einmal kam er und fand dich und befahl dir, das Wasser zu verlassen, und als du draußen warst, nackt, ergriff er die Flucht, und danach hat er dort nicht mehr nach dir gesucht, nur wir waren noch da, aber es hat etwas gefehlt.
    Und wo war die Mutter? Immer war es ihr Vater, der ihre Haare zu Zöpfen geflochten hat, mit harten Händen, die nach Fisch rochen, der sie zwang, zu gehen, zu rennen, auf die Dächer der Kibbuzhäuser zu klettern wie die anderen Kinder, die einzuholen ihr nie gelang, die wie Äffchen von Dach zu Dach sprangen, und sie, ohnmächtig vor Angst, weigerte sich, es zu versuchen, bis er dort auftauchte und sein blauer, drohender Blick sie traf, wovor hast du mehr Angst, vorm Springen oder vor mir, vor dem Leben oder dem Tod, und sie kletterte mit aller Kraft, verfluchte ihn und weinte, was für ein Esel du bist, ein Esel bist du, ich werde Mama alles erzählen.
    Aber wo war deine Mutter?, fragte ihre Tochter, und obwohl ihr die Geschichten bis zum Überdruss bekannt waren, lauschte sie bereitwillig und stellte dann überrascht und immer aufs Neue beunruhigt fest, du bist ohne Mutter aufgewachsen! Das sagte sie mit Genugtuung, und Chemda widersprach, nein, du irrst dich, ich habe meine Mutter so sehr geliebt und sie hat mich geliebt, nie habe ich an ihrer Liebe gezweifelt, aber Dina ließ nicht locker, eine ganze Kette von vergnüglichen Schlussfolgerungen rollten aus ihrem Mund, du bist ohne Mutter aufgewachsen, da ist es kein Wunder, dass du nicht weißt, wie sich eine Mutter verhält, deshalb hatte auch ich keine Mutter, und sogar meine Tochter hat darunter gelitten, siehst du nicht, wie das Fehlen deiner Mutter, das dich noch nicht mal wütend macht, uns alle beeinflusst?
    Du irrst dich, wirklich, sie schüttelte den Kopf, ich war nicht zornig auf meine Mutter, weil ich wusste, dass sie schwer arbeitete. Sie arbeitete in der Stadt und kam nur zum Wochenende nach Hause, und auch als sie einmal für ein ganzes Jahr wegfuhr und ich sie bei ihrer Rückkehr nicht erkannte und dachte, sie wäre eine fremde Frau, die meine Mutter ermordet hatte, war ich nicht zornig auf sie, denn ich verstand, dass sie keine Wahl hatte. Ihr mit euren zornigen Gefühlen, du und Avner und eure ganze benachteiligte Generation, was habt ihr von euren Vorwürfen? Aber manchmal scheint ihr, dass auch sie Zorn empfindet, einen schrecklichen, mörderischen Zorn, nicht nur auf ihre Eltern, nicht nur auf ihren Vater, der ihr auf seine strenge Art ergeben war, oder auf ihre Mutter, die ständig etwas anderes zu tun hatte, sondern auch auf sie, auf ihre Kinder, und vor allem auf ihre Tochter, deren Haare schon grau werden.
    Dabei hat sie erst gestern die schwarzen Krusseln ihrer Tochter zu Zöpfen geflochten, ihre Finger hatten sich in der Tiefe verhakt, wie sich die Finger ihres Vaters in ihren Haaren verhakt hatten, und jetzt sind die
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