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Fuer den Rest des Lebens

Fuer den Rest des Lebens

Titel: Fuer den Rest des Lebens
Autoren: Zeruya Shalev
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Vorübergehenden gesogen, doch nun, da ihre Tochter sie ignoriert, sie absichtlich kränkt, braucht sie keinen Sauerstoff, sollen ihn doch die anderen einatmen. Was für ein unangenehmes Alter, sagt sie seufzend, fünfundvierzig, früher sind Frauen in diesem Alter gestorben, sie hatten die Aufzucht der Kinder beendet und sind gestorben, haben die Welt von ihrer Anwesenheit befreit, der dornigen Anwesenheit unfruchtbarer Frauen, die niemandem mehr gefallen.
    Wir antworten nicht, Hase, verkündet sie ihm, während er mit einem Satz auf die Anrichte springt, von mir aus sollen sie anrufen, solange sie wollen, ich habe keine Kraft, mit irgendjemandem zu reden, während der riesige weiße Kater mit dem schwarzen Schwanz und den Vorderpfoten, von der eine schwarz und die andere braun ist, was einen erbärmlichen Eindruck hinterlässt, er hat sich wohl die Socken im Dunkeln ausgesucht, mit majestätischer Langsamkeit zum Fensterplatz schreitet und zufrieden die leere Stelle beschnüffelt, die von den Eiern der Taube hinterlassen wurde. Und jetzt begreift sie es, jemand hat, trotz ihres ausdrücklichen Verbots, in der Nacht das Fenster offen gelassen, der Kater war es, der das Nest zerstört hat, und als sie nun hinausschaut, entdeckt sie zu ihrem Entsetzen unten auf dem Bürger steig aufgeplatzte Eierschalen, einen trüben Brei, Reste von Leben.
    Gideon, schreit sie, ich habe dir die ganze Woche gesagt, mach das Küchenfenster nicht auf, aber er ist schon längst weggegangen, die alte Leica um den Hals gehängt wie ein kleines Kind den Frühstücksbeutel, und über der Schulter einen weiteren Fotoapparat, so wandert er ruhelos umher, mit hin und her flitzenden Augen, auf der ständigen Suche nach den einmaligen Kombinationen, die das Leben für ihn bereithält. Hat sie es ihm wirklich gesagt? Sie zögert, vielleicht hat sie nur vorgehabt, es ihm zu sagen, und da ist wieder dieser seltsame Schmerz zwischen den Rippen, wieder erwacht der Zorn. Sie war mit Zwillingen schwanger gewesen, aber nur ein Kind hatte überlebt, ihre Nizan, ein winziges, aber vollendetes Baby. Es gab niemanden, dem man die Schuld hätte geben können, und trotzdem tat sie es, gab sich vor allem selbst die Schuld. Lag es daran, dass sie insgeheim das Mädchen vorzog? Lag es an ihrer Panik in den ersten Wochen ihrer Schwangerschaft, die von dem winzigen Geschöpf aufgesaugt worden war und ihm die Lust zum Leben genommen hatte? Wie werden wir es schaffen, sag mir das, hatte Gideon seufzend gesagt, man hatte ihn gerade bei der Zeitung entlassen, er hatte sich stundenlang in dem kleinen, zur Dunkelkammer umfunktionierten Zimmer eingeschlossen und war mürrisch herausgekommen, als drohe ihnen eine Katastrophe, zwei Elternteile, zwei Embryonen, zwei auf einmal, was wird sein, wer wird sie aufziehen, wer wird uns aufziehen? Stundenlang lagen sie auf dem Sofa und starrten die Wände ihrer engen Einzimmerwohnung an, was wird sein, wir müssen eine Wohnung finden, eine Arbeit, wir werden ein Darlehen aufnehmen müssen, die Liste ihrer Aufgaben war immer länger geworden, hatte ihre Hilflosigkeit vergrößert. Damals hatte sie eine bedrohliche Leere gespürt, die auf Gideons gestoßen war, bis er eines Tages einen kleinen Rucksack packte und verschwand, ich brauche ein bisschen Zeit, um zu mir zu kommen, hatte er ihr zugezischt, als handle es sich um einen schweren Schlag, den sie ihm versetzt hatte, und sie dachte, er würde am Abend zurückkommen oder vielleicht am Tag darauf, aber ein paar Tage später rief er sie aus Afrika an, und als er endlich zurückkehrte, hatte er in seinem Rucksack einzigartige Bilder, die ihn über Nacht zu einem begehrten Fotografen machten, während in ihr nur noch ein einziges Kind heranwuchs.
    Können Gedanken töten, können zerstörerische Wünsche eine Katastrophe verursachen? Damals wollte sie, dass man sie in Ruhe ließ, sie und die beiden winzigen Geschöpfe, die an ihrer Gebärmutterwand klebten wie zwei Schnecken an einem Baumstamm. Hätte sie sich anders verhalten können, vermutlich nicht, aber auch er hatte es nicht gekonnt. In den ersten Jahren war sie mit dem Baby so beschäftigt gewesen, dass sie sich die Existenz eines weiteren kaum vorstellen konnte, aber je mehr Nizan heranwuchs, umso mehr verfolgte er sie, der Junge, der nicht geboren worden war, der Junge, der aufgegeben hatte, und manchmal, wenn sie Nizan abends zudeckte, hatte sie das Gefühl, als seien zusätzliche Atemzüge im Zimmer zu hören, ringelten
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