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Fuer den Rest des Lebens

Fuer den Rest des Lebens

Titel: Fuer den Rest des Lebens
Autoren: Zeruya Shalev
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hervorruft, das ihre Konzentrationsfähigkeit bei der Arbeit stört, ihr nicht erlaubt, die einfachsten Tätigkeiten auszuüben, sogar das Telefon zu beantworten, das nun schon seit einer Stunde klingelt. Sie hat sich so daran gewöhnt, dass es ihr scheint, als klingele es in ihrem Kopf, als dringe das Geräusch durch ihre Ohren in die Realität, das Heulen einer Sirene, denn Wörter haben keinen Sinn, es ist die Epoche des Klingeins, die gerade beginnt, für den Rest ihres Lebens, es ist nicht das Telefon, und wenn sie endlich hingeht, wird nichts zu hören sein.
    Aus irgendeinem Grund ist der Apparat kühl, sie drückt ihn an die Brust, eine heiße Welle steigt aus ihrem Inneren auf und sie presst die Lippen zusammen, denn wenn sie aus ihrer Kehle bricht, gibt es keinen Weg zurück, Felder werden brennen, Wälder werden schwarz werden, Häuser verkohlen, eine unerträgliche Hitze wird den Erdball bedecken und blitzschnell ihre Lieben verschlingen, Nizan, die bei ihrer Freundin schläft, ihren zarten, entspannten Körper, Gideon, der unterwegs ist, um die Reste der Lagerfeuer von Lag ba-Omer zu fotografieren, die gegen Morgen erloschen sind, deshalb ist es ihr verboten, die verrückte Welle aus ihrem Inneren freizulassen, sie muss sie in ihren Lungen einsperren, damit sie nur sie selbst verbrennt.
    Erst heute Morgen, bevor er wegging, hat sie versucht, ihn an der Tür zurückzuhalten, es tut mir weh, Gideon, und er fragte kühl, wo tut es dir weh?, und warf ihr einen hastigen Blick zu. Das Herz, sagte sie beschämt, bekannte die Minderwertigkeit dieses Schmerzes im Gegensatz zu körperlichen Schmerzen, die eine sofortige Anerkennung verdienen, und er, wie erwartet, schnaubte ungeduldig, was ist bloß in der letzten Zeit mit dir los? Reiß dich zusammen, sei froh, dass du gesund bist, dass wir alle gesund sind, schau dich doch um und sag danke.
    Danke, sagt sie jetzt, ich danke dir für die Unterstützung, aber was hat sie sich erhofft, er ist schon seit Jahren weit weg, versunken in seinen Angelegenheiten, gibt es überhaupt eine Grundlage zu hoffen, dass er sich ausgerechnet jetzt, da sie ihn braucht, ändern wird? Ist er es, den sie braucht? Da ist er wieder, der Schmerz in ihrem innersten Kern, der zerbröckelt wie ein kranker Zahn. Ich bin krank, sagt sie zu dem schweigenden Telefon, ich brauche Hilfe, ich habe etwas verloren und weiß nicht, ob ich es je wiederfinde.
    Ihre Finger drücken fest auf das Telefon, das wieder ein Klingeln hören lässt, ohne dass sie antwortet, sie drückt es an ihre Brust, mit zusammengepressten Lippen, sie atmet nicht, nur sie weiß, wie gefährlich ihr Atem ist, und ihr Bruder Avner zählt zehn Klingeltöne und legt auf, und dann hinterlässt er ihr eine Nachricht auf dem Handy, das noch immer ausgestellt ist, Mama ist wieder gestürzt, hat das Bewusstsein verloren, er teilt es ihr wütend mit, als wäre es ihre Schuld, sie ist in der Notaufnahme, komm sofort, wenn du die Nachricht gehört hast.
     
    Noch nie hat er es gemocht, allein mit seiner Mutter zu bleiben, und sogar jetzt, da in ihrem Mund der Beatmungsschlauch steckt und ihre Hände bewegungslos neben dem Körper liegen und ihre Augen geschlossen sind und ihr Bewusstsein verschwindet, fürchtet er sich vor ihr, fürchtet, sie könne die faltigen Arme ausstrecken, um ihn zu umarmen, ihn mit ihren trockenen Lippen küssen, sie könne anfangen zu weinen, mein Avni, mein Junge, du fehlst mir. Fast bei jedem Besuch empfängt sie ihn mit Vorwürfen, wo warst du, ich vermisse dich, und wenn er versucht, sie zu beruhigen, ich bin hier, Mama, fragt sie besorgt, und wann kommst du wieder?
    Ich bin hier, freu dich doch, dass ich jetzt hier bin, wiederholt er dann, aber sie beharrt, ich sehe dich so selten, du fehlst mir eben. Auch wenn er neben ihr sitzt, vermisst sie ihn, auch wenn sie ihn sieht, dreht sich alles um seine Abwesenheit. Ein verwöhntes Muttersöhnchen, hatten die Kinder des Kibbuz ihn verspottet, wenn sie an seinem Bett sitzen blieb, nicht bereit, sich zu verabschieden, oder wenn sie ihn auf den Wiesen suchte, mit ihrer hohen, fast kreischenden Stimme seinen Namen rief, Avni! Wo bist du? Er wurde knallrot, wenn er ihr Rufen hörte, dann wollte er sich verstecken, sich irgendwo in Sicherheit bringen, und schon äfften die anderen Kinder sie nach, was für eine Schande, so geliebt zu werden.
    Was für eine verkehrte Welt, sagt er seufzend, was für eine verzerrte Erfindung war dieser Kibbuz, der so grausame Geschöpfe
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