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Fuer den Rest des Lebens

Fuer den Rest des Lebens

Titel: Fuer den Rest des Lebens
Autoren: Zeruya Shalev
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herzergreifend, ein großes, schönes Haus mit zerfallenen Wänden liegt vor dem Fenster, und in der Ferne, zwischen einem Haus und dem nächsten, sieht sie die Hauptstraße der Stadt, auf der Menschen mit schnellen Schritten entlanglaufen, von Kopf bis Fuß dick eingepackt, gebückt von der Kälte, um sich vor dem Wind zu schützen, es schneit nicht, aber der Schnee scheint schon in der Luft zu liegen, die wenigen Bäume sind verschneit, und sie macht vorsichtig das Fenster auf und die Kälte nimmt ihr den Atem, ein Stein hat dein Herz getroffen, was wirst du tun.
    Sie hört Gideon im Schlaf seufzen und zieht die Decke von ihm, er schläft in der Unterhose, wie es zum israelischen Sommer passt, und der Anblick seines Körpers tut ihr weh, er gehört ihr nicht mehr, sie hat nicht mehr das Recht, ihn mit Streicheln zu wecken, um Liebe zu machen, noch nicht einmal wie die Liebe von Fremden, die sich zufällig am Rand der Welt treffen, es ist zu Ende, aus und vorbei, obwohl ihre Liebe zu ihm noch nicht vorbei ist, aber sie hat das Gesetz gebrochen, das wird er ihr nie verzeihen, und auch wenn sie es sich im Moment der Wahrheit anders überlegt, wird es nichts mehr ändern. Er hat gehofft, dass sie ihm zuliebe verzichtet, dass sie seine berechtigten Wünsche berücksichtigt, und sie hat sich geweigert, deshalb sind sie jetzt in Sibirien, und deshalb könnte sie von ihm aus für immer hierbleiben, im Exil, und es ändert auch nichts, wenn sie nach Hause zurückfahren, ob mit oder ohne Kind, und sie steht am Fenster und zieht die Kleider aus, die sie vor vielen Jahren angezogen hat, an einem Abend in Jerusalem, wie seltsam ist es, nackt zu sein vor Menschen, die von Kopf bis Fuß dick eingepackt sind. Das ist der Lauf der Dinge, der eine schwitzt und der andere friert, auch wenn sie nur durch wenige Schritte getrennt sind, auch wenn sie miteinander verheiratet sind, vor Gott und der Welt, und sie geht zur Dusche, schade, dass sie nicht in einer Mikwe untertauchen kann, bevor sie den Jungen trifft, sich nicht in einem Fluss unter einer Eisschicht waschen kann, da erst könnte sie sich von den Zweifeln reinwaschen, da erst könnte sie ihn sehen, wie er ist, und als sie versucht, die richtige Wassertemperatur einzustellen, wundert sie sich wieder, wie sie einschlafen konnte, in den vergangenen Nächten hat sie kein Auge zugetan bei dem Gedanken daran, was sie erwartet, und nun, nur wenige Stunden, bevor es geschehen wird, hat sie gut geschlafen, sie hat noch nicht einmal gemerkt, dass Gideon ins Zimmer gekommen ist und sich ins Bett gelegt hat, und plötzlich erinnert sie sich an früher, wenn sie im Kinderhaus ins Bett gebracht wurde, sie stellte sich vor, ihre Mutter höre ihr Schreien und würde kommen, da kam sie mit schnellen Schritten gelaufen, schlich sich in ihr Bett und nahm sie in ihre warmen, schützenden Arme. Erst später verstand sie erschrocken, warum ihre eingebildete Mutter jedes Mal feuchte, zähe Flecken auf dem Betttuch hinterließ, doch diese Erkenntnis tat ihr nicht weh, gemessen an dem Schutz, den sie empfunden hatte, gerade in dem Moment, in dem sie am wenigsten geschützt war, und deshalb wird sie sich aufgehoben und beschützt fühlen, auch wenn sie vor dem lärmenden Fernseher frühstücken werden, ohne ein Wort miteinander zu wechseln, und später, wenn die Begleiterin sie abholen wird und sie, in mehrere Schichten Kleidung verpackt, in ihr Auto einsteigen werden, wird sie sich aufgehoben und beschützt fühlen, sie wird sich konzentriert die letzten Anweisungen anhören, was man sagen soll und was man auf keinen Fall sagen darf, sie wird ruhig die roten Siedlungen betrachten, den Schnee, der wie Schmutz an den Straßenrand gekehrt und aufgehäuft ist, die Frauen, die in Pelzmänteln stecken und Mützen tragen und aussehen wie bunte Vögel gegen die eintönigen Straßen, ohne Schaufenster, fast ohne Beschilderung. Von Zeit zu Zeit sind erstaunlich schöne Holzhäuser zu sehen, aus einer anderen Zeit, und an einer Wand lehnt ein junger Mann und raucht, sein Atem gefriert, ebenso wie die Tropfen an seiner Nase, ist das sein Vater? Ein paar Betrunkene laufen hier am Straßenrand, einer von ihnen sinkt auf einen Schneehaufen, Nikolai, Sergej, Andrej, Juri, Kinder sind sie schließlich alle gewesen, ist so das Schicksal, das den Jungen erwartet, wenn sie ihn ablehnt?
    Endlich taucht der Fluss auf, und als sie über eine riesige Eisenbrücke fahren, wird ihr Herz plötzlich weit, sie fährt ihrem
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