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Fuer den Rest des Lebens

Fuer den Rest des Lebens

Titel: Fuer den Rest des Lebens
Autoren: Zeruya Shalev
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weggerissen und mit Zügen hierhergeschickt, Menschen wurde die Identität weggerissen, sie gaben Verbrechen zu, die sie nie begangen hatten, Mörder bestraften sie, als wären sie selbst Mörder, hier wurden Verbrechen auf Verbrechen gehäuft wie der Schnee, der an den Straßenrändern aufgehäuft ist, er hat seine weiße Pracht schon verloren und ist trotz seiner Hässlichkeit unbesiegbar.
    Eine junge, großgewachsene Frau in einem schwarzen Pelzmantel erwartet sie in der leeren Ankunftshalle, deren Fußboden nass ist vom schmelzenden Schnee, ihr Gesicht zeigt den selbstsicheren, fast anzüglichen Ausdruck einer Einheimischen, die auf die Ankunft der fremden Besucher amüsiert reagiert, auf ihre Angst vor der Kälte, vor der Weite, vor der Größe der Stunde, sie streckt ihnen eine gepflegte Hand hin, herzlich willkommen, ich heiße Marina, wie war der Flug?, fragt sie in einem langsamen, zögernden Hebräisch, und Dina antwortet kurz, es war alles in Ordnung. Wie soll man die starken Luftströmungen beschreiben, die den Flugzeugkörper streichelten, ebenso wie ihren, Strömungen der Hoffnung und der Erhebung, und die scharfen, angsterregenden Stürze, was tue ich hier, welcher Zauber hat mich hergebracht? Der Mensch denkt einen Gedanken, der Mensch wird von Sehnsucht ergriffen, und durch die Kraft seiner Gedanken landet er plötzlich auf einem anderen Stern, denn ihr scheint, ihre Sehnsucht habe das Flugzeug zum Fliegen gebracht, und ihre Angst habe die Stürze verursacht, als sei sie durch die Kraft ihrer Gedanken nach Sibirien gekommen, dabei hatte sie nie eine besondere Vorliebe für Reisen und Abenteuer, wer weiß, was ihre Gedanken noch erreichen, und jetzt ist sie überrascht, den Koffer zu sehen, den sie gepackt hat, und es kommt ihr vor, als habe ihn vor vielen Tagen eine andere Frau gepackt, und Marina nimmt ihr den Koffer ab und zeigt ihnen den Weg, hinaus in die Kälte, die ihnen eisig entgegenschlägt.
    Mein Auto ist nicht weit, sagt sie, aber Dina fällt es schwer, auch nur zwei Schritte zu machen, deshalb ergreift sie den Arm der fremden Frau, zitternd in der Dunkelheit, zu Hause ist jetzt Nachmittag, und hier bereits Abend, Nizan wird bald nach Hause kommen, sie wird sich die Suppe wärmen, die sie für sie bereitgestellt hat, eine scharfe Linsensuppe, Orli hat ihr das Rezept vor fast zwanzig Jahren beigebracht. Erst als sie das Auto erreichen, wagt sie es zum ersten Mal, sich aufzurichten, und sieht zu ihrem Erstaunen, dass Gideon, der die ganze Zeit hartnäckig geschwiegen hat, sodass auch ihre Begleiterin nicht mehr versuchte, etwas zu ihm zu sagen, die Kamera aus seinem Rucksack holt und den vereisten Parkplatz fotografiert, die Silhouetten der landenden Flugzeuge, die niedrigen Bergketten, die Dunkelheit, die sich wie schwarzer Schnee herabsenkt, seit ihrer Abreise ist es seine erste eigenständige Betätigung, und beruhigt setzt sie sich auf den Beifahrersitz und bewegt ihre schmerzenden Zehen.
    Auch auf der Fahrt fotografiert er, und sie hört, während sie sich dösend zurücklehnt, wie er erregt ihre Begleiterin nach der Geschichte der Stadt ausfragt, nach ihren Sehenswürdigkeiten, nach dem Fluss, nach dem großen Staudamm, als wäre er ein begeisterter Tourist, nur nach dem Jungen erkundigt er sich mit keinem Wort, und auch sie fragt nichts, obwohl die Frau diejenige ist, die ihn getroffen und ihn für sie fotografiert hat, was soll sie auch fragen, ist er für mich bestimmt? Denn die kleine Hand, die das Buch hält, hält auch ihr Schicksal, und was gibt es da zu fragen. Sie antwortet ihm in ihrem klaren, altmodischen Hebräisch, das eine andere Realität bewahrt, wann hat man so in ihrem Land gesprochen, das sich so erschreckend schnell verändert hat? Ihre Hände auf dem Lenkrad sind zart, sie lenkt das Auto durch die riesigen Weiten. Manchmal ist am Straßenrand ein niedriges Haus zu sehen, mit dumpfen Lichtern, ist der Junge vielleicht hier verlassen worden? Wie weit sie von ihrem Zuhause entfernt sind, was für eine Entfernung hat sie zurückgelegt, die Entfernung zwischen Moskau und dieser Stadt ist weiter als die Entfernung zwischen Moskau und Jerusalem, und sie hört zu, wie Marina detailliert erklärt, was sie morgen erwartet, am Vormittag ein kurzes Treffen im Adoptionszentrum, am Nachmittag eine Fahrt ins Kinderheim, das erste Treffen mit dem Jungen, mit der Ärztin und der Sozialarbeiterin, die ihnen Einzelheiten über seinen Zustand berichten werden. Und dann? Aus
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