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Fünf vor Zwölf - Und kein Erbarmen

Fünf vor Zwölf - Und kein Erbarmen

Titel: Fünf vor Zwölf - Und kein Erbarmen
Autoren: Will Berthold
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daß sie noch einmal kommen.
    Auch die ›Deutschland‹, ein Lazarettschiff, liegt wie eine brennende Fackel in der Ostsee und gibt den Jabos Büchsenlicht.
    Nur der Tod ist zu sehen.
    Zwischen dem Land und dem treibenden Fährbach, der Hilfe rufen soll, liegt die Dunkelheit wie eine Sargdecke. Er errät die Richtung aus den Positionen der brennenden Schiffe. Holt aus, stößt sich ab. Die Richtung stimmt und er muß noch zwei, drei Kilometer durchstehen, und dann wird er an der gleichen Stelle landen, auf die in diesem Moment Hunderte von Häftlingskameraden zutreiben.
    Diese waren auf zwei großen Schuten zu Hunderten aufeinandergeschichtet und an die ›Cap Arcona‹ gehängt, als ihre SS-Bewacher vor dem Luftangriff flüchteten. Es gelang den Gefangenen, die Haltetaue zu kappen; die Schuten treiben auf den Strand von Pelzhaken zu.
    In der Nähe der Küste springen jetzt die Häftlinge in das Wasser und schwimmen auf den Strand zu. Sie sehen Menschen am Ufer und winken um Hilfe.
    Die Antwort gibt ein Maschinengewehr, das diese Gefangenen, unter ihnen Frauen und Kinder, erbarmungslos zusammenknallt.
    Das Wasser färbt sich rot.
    Während englische Panzerspitzen Lübeck einnehmen und ungestüm auf Eutin, Plön und Neustadt vorstoßen, werden von Totenkopfmännern 126 schwimmende oder im Wasser stehende Häftlinge erschossen.
    Dem Befehl des Kreisleiters, vor dem Eintreffen der Engländer die Leichen zu verscharren, kommen die Mörder nicht mehr nach, denn sie stieben rechtzeitig auseinander. Viele kommen durch, und manche von ihnen leben heute unbehelligt unter uns …
    Als die englischen Flugzeuge endlich beidrehen, merken die meisten Überlebenden auf der ›Cap Arcona‹ gar nicht, daß die Luftangriffe eingestellt sind. Lauter als die Kanonen und größer als die Detonationen sind für sie die Schreie der Häftlinge, die am Heck vom Feuer eingeschlossen sind. Die Flammen lecken auf sie zu. Hellrot, grell. Einige werden wahnsinnig und stürzen sich im Amoklauf in das Feuer.
    Über die Deckplatten fließt Blut. Verwundete liegen unter Toten. Häftlinge mit zerschmetterten Gliedern hängen sich an die Beine ihrer Kameraden. Melber und seine Männer schuften, bis sie umfallen. Dr. Corbach operiert, amputiert, injiziert. Das Zwischendeck ist gesperrt, die Geborgenen müssen über zwei schmale Eisenleitern in den behelfsmäßig als Lazarett eingerichteten Maschinenraum geschleppt werden. Als eine der Leitern bricht, sitzen Häftlinge, Ärzte und Helfer und Verwundete in einer stählernen Mausefalle, da die anderen Zugänge der Tumult hoffnungslos verstopft.
    Christian Straff konnte Jutta noch immer nicht finden. Er hastet über Gänge und Decks. Sucht im Turnsaal, in der Bücherei, in den Leseräumen. An den Wänden, wo früher Gobelins hingen, schlagen Flammen nach oben. Der Speisesaal ist ein Leichenraum. Im Festsaal brüllen die Verwundeten, und im Palmenhain des einstigen Wintergartens gehen Menschen, die den Ausgang nicht finden, mit Fäusten gegeneinander los. Was früher Luxus war, brennt wie Plunder. Bevor der Krieg verendet, besäuft er sich noch einmal gründlich mit Blut.
    Die Brände drängen die Überlebenden wie auf Inseln zusammen. Einige Niedergänge zu den unteren Decks wurden von den Bomben so verklemmt, daß nur ein Schweißbrenner noch helfen könnte. Einen Moment schaudert Christian Straff vor der Vorstellung, daß Jutta unter den Eingeschlossenen sein könnte, für die es keine Rettung gibt, so sehr sie klopfen und hoffen.
    Ein Wunderwerk der Sicherheit, schießt der Werbeslogan des Luxusschiffes ihm immer wieder durch den Kopf. Zwölf Stahlquerwände, die Schotten, teilen das Schiff in dreizehn wasserdichte Zellen. Zwei bis drei können vollaufen, ohne daß die ›Cap Arcona‹ das Schwimmen verlernt. Wieviel werden es sein? überlegt Christian. Fünf oder sechs?
    Die Feuerschotten sind außer Funktion. Die Hydranten haben kein Wasser. Die Schwefeldioxydlöscher sind verschwunden, Rauchhelme nicht zu finden. Die Notlenzanlage versagt. Der Notdynamo am Bootsdeck … Fehlanzeige. Das Bootsdeck ist zerfetzt.
    Endlich findet er Jutta. Im Kinderzimmer. Stumm, reglos. Allein. Sie ist steif wie eine Puppe, und im ersten Moment hält sie Christian Straff für tot.
    Dann sieht er, daß sie wie gelähmt ist vom Schock. Ihr Gesicht ist wie ein Spiegel der Ungeheuerlichkeit. Das Mädchen sieht ihn an, aber sie erkennt ihn nicht. Die Pupillen bleiben starr, kein Leben zeigt sich auf der Iris.
    »Liebes«,
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