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Fünf vor Zwölf - Und kein Erbarmen

Fünf vor Zwölf - Und kein Erbarmen

Titel: Fünf vor Zwölf - Und kein Erbarmen
Autoren: Will Berthold
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und vorn und hinten Geschosse krepieren, während es am Achterschiff brennt, während Tote über die beiden geworfen werden. Und während sich Langenfritz den Durchgang nach unten ein letztes mal mit der Waffe erkämpft.
    Fährbach preßt die Hände zusammen, sieht nichts, hört nichts …
    »Lass ihn los«, sagt Melber. »Der ist fertig.«
    Obwohl es jetzt um ganz andere Dinge geht, opfert auch er seinem Hass ein paar Sekunden.
    Krappmann ist tot, aber Fährbach will es nicht glauben. Er löst die Finger so vorsichtig von der Kehle Krappmanns, als könnten sie abbrechen …
    In diesem Moment ist der schwere Bomberverband über der ›Cap Arcona‹.
    Die ersten Bomben rauschen in das wehrlose Ziel.
    Das bewegungslose Schiff tritt auf der Stelle, schaukelt führerlos hin und her wie eine Konservenbüchse. Ein Raketengeschoß zerfetzt das Achterdeck, explodiert in den unteren Räumen, wo auf engstem Platz Tausende von Häftlingen zusammengepfercht sind. Menschen, die in der Apathie des Hungers eben noch die Freiheit für ein Stück Brot verschenkt hätten und jetzt in wilder Panik nach oben drängen. Einer gegen den anderen, jeder gegen jeden.
    Jeder will nach oben, bevor der riesige Stahlsarg absäuft.
    Und weiter rauschen die Bomben, wummern sie in das Ziel. In den untersten Räumen, die noch abgeschnitten sind, spüren die Männer die Erschütterungen des Schiffes wie Schläge auf den Kopf.
    In den ersten Schock mischt sich die erste Disziplin. Häftling Melber hat den früheren Kaleu Fährbach mitgerissen und nach unten gezogen. Der engere Kreis der Gefangenen hält die Zugänge zum Lazarett frei. Die ersten Verwundeten werden geborgen. Melber verfügt über freiwillige Samariter, und Dr. Corbach, dem sich die Häftlingsärzte willig unterordnen, richtet im Maschinenraum der ›Cap Arcona‹ vorsorglich ein Behelfslazarett ein.
    Der Tod geht in die dritte Runde. Einen Moment verschnaufen die Männer, ebenso lange kommt das Gebrüll der Verwundeten, der grausige Massenschrei der vom Feuer Eingeschlossenen gedämpft nach unten.
    »Weiße Fahne hissen …«, keucht Melber. Straff reißt ihn mit. Sie kämpfen sich zur Brücke durch.
    Kapitän Bertram steht starr auf seinem Platz. Er scheint Melber nicht zu bemerken und Christian nicht zu sehen.
    »Wir müssen … kapitulieren …«, sagt Christian Straff; er bricht ab.
    Der Kapitän mußte nicht erst aufgefordert werden, im Topp weht Weiß, flattert die Fahne der Kapitulation wie ein Leichentuch über dem sterbenden Schiff.
    Aber wie sollten es die Engländer sehen?
    Jutta, denkt Christian und macht sich von Melber los. Sie hasten weiter, wieder rauscht es, der Angriff wird stärker, rasender, tödlicher, die beiden werfen sich hin, hinter ihnen krepiert die Bombenserie, die Brücke des Kapitäns, auf der sie eben standen, ist zerfetzt, Bertram und seine Offiziere sind gefallen, aber die Männer machen sich nicht klar, wie wenige Sekunden sie vom Tod trennte.
    Christian Straff versucht, sich zum Oberdeck durchzuschlagen. Melber flitzt ins Lazarett zurück.
    Die holzverkleideten Wände, die Deckplanken, das zivile Mobiliar haben Feuer gefangen und brennen wie Stroh. Höllische Hitze brodelt durch das Schiff. Aus den geplatzten Bullaugen qualmt trüber Rauch, kommen Menschen, manche nackt, manche mit brennenden Klamotten, Häftlinge. Einer nach dem anderen, jeder ohne Chance.
    Sie sterben mit dem Gesicht zur Freiheit, denn jetzt, kurz nach 15 Uhr, wird in Erwartung der heranrollenden Engländer auf dem Hafengebäude von Neustadt die weiße Fahne gesetzt.
    Die überlebenden Totenkopfleute haben sich um den Sturmbannführer Langenfritz geschart. Sie warten im Rauchsalon. Auch sie sind nicht im Gedränge, denn die Häftlinge wagen sich nicht an sie heran.
    In der Ecke stehen die Mädchen wie ängstliche Hühner …
    »Sowie der Angriff abflaut«, sagt der SD-Führer, »steigen wir in die Boote und lassen diesen ganzen Saustall hier einfach weiterkochen … Verstanden?«
    »Jawohl, Sturmbannführer«, murmeln die Totenkopfleute.
    Sie haben ihre Waffen bei sich, und es wird höchste Zeit zu verschwinden. Sie werden sich den Weg mit Maschinenpistolen freihalten.
    Der Qualm beizt die Kojengänge. Die Hitze sprengt die Kabinentüren. Entfesselte Todesangst treibt die Häftlinge zu Haufen, hetzt sie über die Decks, jagt sie aus dem Feuer in das Feuer. Die Flammen jagen sie über die Reling. Wahnsinnig vor Schmerz springen sie ab, nach der falschen Seite oder zu kurz.
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