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Fünf alte Damen

Fünf alte Damen

Titel: Fünf alte Damen
Autoren: Hans Gruhl
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Ich beugte mich etwas vor. «War es das auch wirklich? Ich meine
die mißtrauische Frau Doktor und Ihr großmütiger Verzicht? Oder sind Sie nur
ein bißchen zu spät gekommen?»
    Sie nahm die Beine voneinander und
hielt das Kreuz steif.
    «Sie sind aber nachtragend!»
    «Ich bin nicht nachtragend», sagte ich
milde. «Aber wenn Sie es mit der Pünktlichkeit nicht genau nehmen, werden Sie
in dieser Branche kaum älter werden, als Sie jetzt sind. In anderen
wahrscheinlich auch nicht, Fräulein— wie heißen Sie eigentlich mit Vornamen?»
    «Mechthild», antwortete sie.
    «Mechthild», wiederholte ich. Sie sah
ganz und gar nicht so aus. «Wie kann man denn Mechthild heißen?»
    Sie fuhr auf mit Trotzunterlippe.
    «Ich heiße eben so! Soll ich mich
umtaufen lassen?»
    Langsam verstand ich, warum sie schwer
eine Stellung bekam. Sie schien es auch zu wissen. Ihre Stupsnase ging zu
Boden.
    «Verzeihen Sie. Ich— werde so oft damit
aufgezogen.»
    «Natürlich», sagte ich. «Ich wollte Sie
nicht aufziehen. Das hat man davon, wenn man 1940 geboren ist. Kleine
Erinnerung an große Zeiten, wie?»
    «Genau so.»
    «Haben Sie Ihre Zeugnisse mit?»
    Sie kramte in ihrem Quadrattäschchen herum
und gab mir ein paar Papiere. Ich brachte sie in die richtige Reihenfolge und
las. Als erstes stieß ich auf die Drei im Examen.
    «Besser war es nicht zu machen, nein?»
    Sie konnte mit einem Schlag todtraurig
aussehen.
    «Och— die blöde Anatomie— »
    «Ja, ja», sagte ich. «Der Musculus
Matthäus Gluximus— »
    «Glutäus maximus», sagte sie.
    «Na also! Und wozu ist er da?«
    «Man haut dar— ich meine, man gibt
Spritzen dorthin— die i. m. Spritzen.»
    Ich fragte nichts mehr, sondern las
weiter. Beim letzten Zeugnis fing ich an zu murmeln.
    «-zeigte sich anstellig und gewandt im
Umgang mit den Patienten, war bei Kindern beliebt. Ist von wahrhaftem und
aufrichtigem Charakter, manchmal leider vorlaut und unbeherrscht. Sie wird
lernen müssen, ihr Temperament besser zu zügeln.»
    Ich hob den Kopf.
    «Hat er recht?»
    «Er hat recht.»
    «-Fräulein Groß verläßt die Praxis, um
am abschließenden Kursus ihrer Schule teilzunehmen. Ich wünsche ihr— und so
weiter. Na schön.»
    Ich gab ihr die Papiere zurück und sah
auf die Uhr. Es mußte nicht heute entschieden werden. Einmal überschlafen war
notwendig.
    «Ja, große Mechthild», sagte ich
langsam. «Alles ganz nett. Aber es haben sich noch mehr Ihres Faches gemeldet.
Ich muß aussuchen, was für mich das beste ist. Lassen Sie mir Ihre Adresse da.
Ich schreibe Ihnen, wahrscheinlich morgen schon— »
    Sie sah aus, als hörte sie nicht mehr
zu. Ihr Kopf hing ziemlich weit herunter.

    «Was ist denn! 1 »
    Als ihre Augen hochkamen, sah ich einen
feuchten Hauch über dem glänzenden Blau. Ihre Nasenflügel zitterten mitsamt den
Sommersprossen.
    «Ich weiß schon, wie es wird», sagte
sie. «Sie nehmen mich nicht. Ich bin zu jung, und ich war unpünktlich. Beim
nächstenmal ist es etwas anderes. Was soll ich denn machen? Ich muß doch
arbeiten.»
    Sie stand auf und hielt mir die Hand
hin. «Auf Wiedersehen, Herr Doktor. Vielen Dank, daß Sie mich angehört haben.»
    Ich blieb sitzen und sah hoch zu ihren
Flaumfedern. Ich dachte an die gescheiterte Physikumskandidatin mit dem
Strähnenknoten und an die zweite mit ihren zweihundert Pfund Lebendgewicht, die
alles fallen ließ. Sie würden genauso auf meinen Nerven herumtrampeln wie das
Mädchen Mechthild, vielleicht noch mehr. Per Saldo und im Jahresdurchschnitt
ist der Ärger mit allen der gleiche. Die hier konnte man noch erziehen, die
anderen würden nie wieder herauskommen aus ihrem eingefahrenen Streifen.
Außerdem war da noch die Probezeit von drei Monaten als Sicherheitsventil. Und
schließlich— eine Augenweide war besser als Trauerweiden, auch für die
Kundschaft.
    Alles das machte ich mir vor und wußte
doch ganz genau, daß es die Federhaare waren und das glimmende Blau in den
Augen und die Beine, auf denen sie jeden Tag stehen würde. Der Himmel mochte
verhüten, daß sie es merkte.
    «Setzen Sie sich hin», sagte ich, als
wäre ich ungeheuer erschöpft und gleichgültig. «Wo wohnen Sie?»
    «Bei meiner Tante.» Sie wußte noch
nicht, worauf es hinaussollte. Langsam rutschte sie wieder auf den Stuhl.
«Wendelstraße acht— es ist auch Telefon da— »
    Ich schob ihr einen Zettel hin.
    «Schreiben Sie es hier drauf.»
    Ihre Augen waren ganz trocken. Sie
schrieb schnell. Ihre Buchstaben waren wie ihr Mundwerk.
    «So,
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