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Fünf alte Damen

Fünf alte Damen

Titel: Fünf alte Damen
Autoren: Hans Gruhl
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und trinken Kaffee, wann sie wollen. Brüllt man
sie an, weisen sie darauf hin, daß sie immerhin schon dreißig Jahre im Beruf
und einen derartigen Ton nicht gewöhnt wären.
    Hat man einmal ihre Gunst verscherzt,
ist es aus. Sie murmeln hörbar vor sich hin, ‹das wäre bei Doktor Soundso nie
passiert!›, wenn man mit der Nadel mal eine Vene verfehlt, und sie erzählen
laut im Wartezimmer, daß der Doktor zwar noch sehr jung wäre, Gott, fast zu
jung für diese Verantwortung, aber er gäbe sich alle Mühe.
    Die zweite Gruppe stellen die, die jung
und wenig belastet von Kenntnissen von ihrem Institut kommen, aber dafür genau
in der Kosmetik Bescheid wissen und den Beruf des Arztes als immer noch am
sichersten in der Krise ansehen. Sie geben sich Mühe, bei sämtlichen
Handreichungen so oft wie möglich mit einem zusammenzustoßen, und leisten die
Hälfte, wenn man die Frisur am Morgen nicht wieder einmalig findet. Sie haben
auch privat Zeit und kochen den Kaffee und bügeln das Hemd. Die ganze
Begeisterung erlischt schlagartig, wenn sie einen mit einem anderen Mädchen zu
Gesicht kriegen.
    ‹Alles hat man für ihn getan. Und nun
geht er mit einer anderen.›
    Ja.
    Dann gibt es solche, an denen eigentlich
eine Ärztin verlorengegangen ist, aber leider konnte die Schule nicht zu Ende
besucht werden, und nun wird das ganze Leben unter der Zurücksetzung gelitten.
Das Leid verwandelt das Gesicht wie das einer Tragödin kurz vor ihrem
gewaltsamen Ende, und man tritt unwillkürlich leiser auf und flüstert nur noch,
um die Leidende nicht noch mehr zu beschädigen.
    Selbstverständlich gibt es auch patente
Mädchen, aber die sind rar, und eine Goldgrube war mein Laden nicht.
    Das Angebot war sowieso nicht groß. Ich
war gespannt, woran ich geraten würde.
    Die erste erschien zehn Minuten nach
vier.
    Sie war Mitte Vierzig, hatte strähniges
Haar und einen Knoten. Ich hatte Verdacht auf Gruppe drei. Es war noch
schlimmer. Sie hatte vier Semester Medizin studiert, aber die Prüfung war
irgendwie hinderlich gewesen. Sie warf mit lateinischen Ausdrücken um sich und
sagte, daß ihr letzter Chef sie unter Tränen gebeten hätte, bei ihm zu bleiben,
aber die Fälle seien ihr nicht interessant genug gewesen, keine Möglichkeit zur
Weiterbildung. Ich bedauerte sie und sagte, ich könnte erst in den nächsten
Tagen Bescheid geben, da sich sechs Damen angemeldet hätten.
    Die zweite folgte auf dem Fuße, war
ungeheuer dick, ungeheuer gutmütig, aber sie ließ ihre Handtasche viermal
während unserer Unterredung fallen. Ich hob sie ihr auf und überlegte, wie
viele Spritzen in einem Jahr neu angeschafft werden müßten, und fragte mich,
wie es die Patienten anstellen würden, auf dem Gang an ihr vorbeizukommen.

    Ich entließ sie mit aufmunternden
Worten. Dann blieb ich in meinem Stuhl hocken und beklagte mein Schicksal.
Carla ging am Ende der Woche, unwiderruflich und ohne Erbarmen. Dann saß ich
da. Wenn sich niemand mehr meldete, blieb nur die Dicke oder die verhinderte
Frau Professor. Ein hartes Los.
    Es war zwanzig Minuten nach fünf, und
ich wollte aufstehen und raus. Da klingelte mein Telefon in die traute Stille.
    Ich zögerte und überlegte mir, daß es mein
Recht wäre, am Mittwoch nachmittag nicht da zu sein. Dann dachte ich an meine
wenigen Scheine und hob den Hörer ab.
    «Klein», sagte ich.
    «Hier ist Groß», sagte eine Stimme. Es
war die einer Frau, nicht übel anzuhören, nicht atemlos und umgeben von Geräuschen
einer Telefonzelle. Ich überlegte, wer von meinen Bekannten wieder einen dummen
Witz mit mir machen wollte.
    «Hahaha», machte ich.
    «Was soll das?» fragte sie.
    «Ich habe schon bessere Witze gehört»,
sagte ich matt. «Bist du es, Inge?»
    «Nein, ich bin nicht Inge.» Sie schien
leicht empört. «Ich heiße Groß— Sie haben doch annonciert wegen einer
Sprechstundenhilfe— sind Sie das nicht?»
    «Ich bin es. Aber wenn ich mich recht
erinnere, meine Dame, hatte ich gebeten, sich bis fünf Uhr einzufinden.»
    «Ist es denn schon fünf?»
    Guter Gott, dachte ich.
    «Es sieht auf meiner Uhr so aus.»
    Ich hörte sie hastig atmen.
    «Ach— ich habe den dummen Bus verpaßt—
»
    «Ich weiß», sagte ich. «Und die
Schularbeiten sind auch noch nicht ganz fertig geworden. Wo sind Sie denn?»
    Sie nannte eine Straße, die zehn
Minuten entfernt war.
    «Na, dann bewegen Sie sich her mit a.
K.— »
    «Mit was, bitte?»
    «Mit äußerster Kraft heißt das.»
    «Ach, Sie waren bei der
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