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Fünf alte Damen

Fünf alte Damen

Titel: Fünf alte Damen
Autoren: Hans Gruhl
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fingerte
unter dem Buchstaben L herum, bis ich hatte, was ich suchte.
    Agnes Lansome.
    Die alte Dame. Die Schwester der Toten.
    Mr. Lansome war Engländer gewesen und
in London gestorben, so stand es auf der Karte. Seine Frau war in die Heimat
zurückgekehrt und hatte Whisky und Whistspiel hinter sich gelassen. Den Krieg
hatte sie aber noch auf englischer Seite hinter sich gebracht, was ohne Zweifel
von Vorteil gewesen war. Jetzt wohnte sie in der Kreuzallee 11. Ich kannte die
Straße und konnte mir vorstellen, wie das Haus aussah. Erkertürmchen und
Eingang für Lieferanten. Dort paßte sie hin. Wie eine schottische Herzogin in
ihrer Burg, betreut von einem Butler und sieben Zofen.
    Sehr oft war sie nicht bei Harding
gewesen. Es waren viel weniger Eintragungen auf der Karte als bei Jenny. Schien
die Gesündere von beiden zu sein. Jetzt sowieso.
    Draußen klappte die Tür. Dann wurde
meine aufgerissen.
    «Morgen, Carla», sagte ich.
    «Ach herrje! Guten Morgen! Sie sind
schon da?»
    «Ich bin schon da», gab ich zu.
    «Seit wann denn?»
    «Seit gestern abend. Ich habe die ganze
Nacht hier gesessen und geweint, weil Sie mich verlassen.»
    Carla Höflich schloß die Tür. Sie war
klein, mager, hatte eine gelbliche Gesichtsfarbe und die Züge einer Maus, die
gerade vor der Katze erschrickt. Sie war Doktor Hardings Sprechstundenhilfe
gewesen. Ich hatte sie übernommen und anderes Inventar mit ihr, aber ihre Zeit
war um. Sie war alt genug und hatte genügend Versicherungsmarken geklebt, um
aufhören zu können.
    «Haben Sie schon jemanden?» fragte sie.
    «Mitnichten», sagte ich. «Heute
nachmittag wollen sich zwei präsentieren.»
    «Gleich zwei?»
    «Jawohl. Man reißt sich um Ihren
Posten.»
    «Ach, du lieber Gott! Na, ich ziehe
mich um.»
    «Tun Sie das», sagte ich, steckte die
Karte der alten Dame in den Privatkasten zurück und schwenkte mit meinem
Universalstuhl herum. «Übrigens— Frau Herwig ist gestern abend gestorben.
Jenny.»
    Carlas Gesicht wurde noch gelber.
    «Was?»
    «Ja, sie war so frei.»
    Sie sah mich an, als hätte ich die alte
Dame kaltlächelnd umgebracht.
    «Na, wenn das Doktor Harding wüßte!»
    «Sie wird’s ihm jetzt erzählen», sagte
ich.
    Carlas Gestalt war ein einziger Tadel.
    «Ihnen fehlt jede Ehrfurcht, Doktor
Klein!»
    Ich nickte.
    «Weiß es Frau Lansome?»
    «Sie hat sie gefunden», sagte ich.
    «Die Ärmste. Sie haben sie doch
hoffentlich getröstet?»
    «Ich habe es versucht. Sie sah nicht
aus, als ob sie Trost brauchte.»
    Carla starrte den Totenschädel an.
    «Ja, sie ist sehr— sehr beherrscht, möchte
ich sagen. Ihre Schwester war viel wehleidiger.»
    «Das macht die englische Schule», sagte
ich. «Dort wird weniger gejammert und weniger nach anderen Leuten geschielt als
bei uns. Ich höre Kundschaft, Fräulein Höflich. Wollen wir?»
    Sie verschwand. Bald darauf erschien
sie in Weiß und mit dem ersten Patienten. Es war ein alter Seemann,
pensioniert, und mit viel Liebe zum Meer und zum Grog. Er kannte sämtliche
Rumsorten der Welt und hatte mir die besten empfohlen.
    Ich sah mir seine Kniegelenke an, wie
jeden Mittwoch, und dann erzählten wir noch ein bißchen von der See und den
Lokalen in verschiedenen Häfen.
    Der Vormittag verging ohne Sensationen.
Während Carla aufräumte, und die Spritzen reinigte, aß ich zu Mittag. Die
Aufwartung ging hinüber, die Praxis zu polieren. Ich machte mit meinem betagten
Volkswagen ein paar Besuche und überlegte mir dabei, wie lange es dauern würde,
bis ich mir ein Auto kaufen könnte, in dem ich die Knie nicht unmittelbar unter
dem Kinn stehen hatte. Meine Länge hatte mir schon allerhand Strapazen
eingebracht. Als ich fertig war, trank ich in Ruhe Kaffee. Kurz vor vier ging
ich rüber, bezahlte meiner fleißigen und ehrlichen Aufwartung ihre Stunden und
setzte mich an den staubfreien Schreibtisch. Nicht mehr lange, und die Damen würden
erscheinen.
    Es gibt verschiedene Arten von
Sprechstundenhilfen.
    Erstens die, die den Betrieb binnen
kürzester Frist übernehmen. Weil sie meist keine Chance mehr haben, selbst
einen unverheirateten Brotherrn vom rechten Wege abzubringen, verschwenden sie
mit derartigen Bemühungen keine Zeit, sondern streben die Alleinherrschaft auf
schnellstem Wege an. Sie setzen die Reihenfolge der Patienten fest, teilen
einem mit, wer heute unbedingt zu besuchen und bei wem es weniger wichtig wäre,
klatschen mit den Patienten, die ihnen liegen, stoßen die vor den Kopf, die
sich ihrer Gunst nicht erfreuen
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