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Fünf alte Damen

Fünf alte Damen

Titel: Fünf alte Damen
Autoren: Hans Gruhl
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Fernglasaugen auf
mich.
    «Herr Doktor Klein— es handelt sich um
folgendes: Ich vertrete— hm— vertrat die Interessen von Frau Jenny Herwig— ich
war ihr Rechtsbeistand.»
    Jenny Herwig. Meine tote alte Dame vom
letzten Dienstag. Ich schwieg, aber ich war hellwach. Jenny Herwig. Als hätte
ich geahnt, daß da irgend etwas nachkommen würde.
    Er räusperte sich gekonnt.
    «Ich darf vorausschicken, daß die
Auskunft, die ich von Ihnen erbitte, möglicherweise mit Ihrer ärztlichen Schweigeverpflichtung
kollidiert— auch wir haben eine derartige Verpflichtung unseren Klienten
gegenüber.»
    Das war mir bekannt. Mal sehen, wer von
uns beiden mehr verraten würde.
    Er legte seine Hände übereinander. Sie
hatten borstige Haare und etwas zu lange Nägel. Wie Krallen, die gerne was
festhielten.
    «Es handelt sich um eine
Erbschaftsangelegenheit. Ich verwalte den Nachlaß der Frau Herwig, und ich bin
beauftragt, diese Angelegenheit abzuwickeln.»
    Oh, wickle, solange du wickeln kannst,
dachte ich.
    «Frau Herwig war bei Herrn Doktor
Harding in Behandlung, der ja leider— ja.»
    Wir verharrten beide in stiller Trauer.
Dann fuhr er fort.
    «Frau Lansome, die Schwester der
Verstorbenen, hat mich über Ihren letzten Besuch informiert. Sie hatte auch die
Freundlichkeit, mir den Totenschein mit Ihren Eintragungen zu zeigen.»
    «So», machte ich, um auch mal etwas zu
sagen.
    Doktor Krompecher legte die
Fingerspitzen aneinander und sah darauf nieder.
    «Meine Frage wird Ihnen ungewöhnlich
erscheinen. Ich wäre Ihnen für eine Antwort dennoch sehr verbunden.»
    Seine Augen stachen in mich hinein wie
blaue Eiszapfen.
    «Besteht irgendein Zweifel an der
natürlichen Todesursache von Frau Jenny Herwig?»
    Jetzt war es heraus. Beinahe hatte ich
schon vergessen, und jetzt war es wieder da und störte mich von neuem. Ich
legte meine Stirn in Falten, als müßte ich ungeheuer scharf nachdenken.
    «Frau Herwig? Ach ja— der erste
Todesfall in meiner neuen Praxis— ja, ja, natürlich.»
    Ich drehte mich mit dem Stuhl nach
links, zog den Privatkasten aus dem Regal und fingerte darin herum, obwohl ich
genau wußte, wo die Karte steckte.
    «Hamstadt», murmelte ich, «Herting—
Herwig. Da haben wir sie.»
    Ich schwenkte zurück in die Richtung
des Anwalts und hielt die Karte wie ein Bilderbuch zwischen den Händen. Krompecher
sprach wieder.
    «Wie gesagt, es liegt ganz in Ihrem
Ermessen— »
    «Nein, nein», sagte ich scheinbar
uninteressiert. «Das ist kein Staatsgeheimnis. Nur— lebend habe ich sie niemals
gesehen. Aber die Eintragungen von Doktor Harding, die Vorgeschichte, der ganze
Verlauf— eigentlich ein klarer Fall.»
    Er wartete.
    «Sie hatte einen Herzmuskelschaden,
schon lange Zeit. Unter der Behandlung hielt sie sich gerade so, eigentlich
sogar gut— »
    Seine Frage schoß dazwischen.
    «Ist es dann nicht eigenartig, daß so
plötzlich— »
    Ich starrte die Karte an und dachte
nach. War es eigenartig?
    «Das kann man nicht sagen. Natürlich
stellen wir uns diese Frage auch immer, aber hier— wissen Sie, solche Herzen
hören eines Tages einfach auf. Die Arbeitsmuskulatur wird schwächer, sie verödet
sozusagen, die Durchblutung wird schlechter, Anstrengungen werden immer weniger
vertragen— die Fälle sind häufig. Sie war über siebzig Jahre alt.»
    Ich ließ die Karte sinken und sah ihm
ins Gesicht.
    «Nein, also— ich hatte nicht den geringsten
Zweifel. Ganz normaler Fall.»
    Seine Augen wurden etwas enger.
    «Äh— Medikamente?»
    Ich schüttelte den Kopf mit
vorgeschobener Unterlippe.
    «Nichts Gewaltiges. Sie war auf
Digitalis gesetzt, nahm es regelmäßig— solche Herzen brauchen es ständig, wissen
Sie, Dauerdosis - paar Schlaftabletten hatte sie, schwache Dinger, vollkommen
ungefährlich. Weiter habe ich nichts gesehen.»
    Ein paar Sekunden blieb er stumm. Dann
erschien etwas wie ein Lächeln auf seinem Gerichtssaalgesicht. «Ich danke
Ihnen, Herr Doktor Klein. Ihre Auskunft war mir von Nutzen. Ich will Sie nun
keinesfalls länger stören.»
    Er stand schnell auf. Es sah aus, als
wollte er noch schneller herauskommen und fort. So hatte ich mirdas nicht
gedacht. Ich lächelte so freundlich wie möglich.
    «Neugierde ist eine unangenehme
Eigenschaft, Herr Rechtsanwalt. Aber wenn es die Schweigepflicht Ihrerseits
nicht zu sehr strapaziert, hätte ich gern gewußt, warum— »
    Die verdammte Brille ließ nichts von
seinen Gedanken erkennen. Er sah mich ebenso freundlich an wie ich ihn. Ein
heiteres
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