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Frühstück bei Tiffany

Frühstück bei Tiffany

Titel: Frühstück bei Tiffany
Autoren: Truman Capote
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verrückt geworden bin und alles kaputtgemacht habe?»
    Außer dem Anwalt, den O. J. Berman genommen hatte, war ich der einzige Besuch, der ihr erlaubt worden war. Sie teilte das Zimmer mit anderen Patientinnen, einem Trio drilling-ähnlicher Damen, die, während sie mich mit einem nicht unfreundlichen, aber umfassenden Interesse musterten, in geflüstertem Italienisch Betrachtungen anstellten. Holly erklärte das: «Die denken, Sie seien mein Fehltritt, Herzchen. Der Kerl, der mir das angetan hat», und auf den Vorschlag hin, dies klarzustellen, erwiderte sie: «Kann ich nicht. Sie sprechen kein Englisch. Außerdem denke ich nicht daran, ihnen den Spaß zu verderben.» Und hier war es nun, daß sie nach Jose fragte.
    Im Moment, als sie den Brief sah, kniff sie die Augen zusammen und bog die Lippen zu einem kaum merkbaren harten Lächeln, das ihrem Alter nicht abzumessende Jahre hinzufügte. «Herzchen», wies sie mich an, «würden Sie mal dort in die Schublade 'reingreifen und mir meine Tasche geben. Etwas Derartiges liest ein Mädchen nicht unzurechtgemacht.»
    Geleitet vom Spiegel in ihrem Necessaire, puderte und malte sie sich jede Spur einer Zwölfjährigen aus dem Gesicht.
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    Sie formte ihre Lippen mit einem Stift, färbte ihre Wangen mit einem andern. Sie zog die Ränder ihrer Augen nach, legte Blau auf die Lider, übersprühte sich den Hals mit 4711; befestigte Perlen an ihren Ohren und setzte sich ihre dunkle Brille auf. Also gewappnet und nach einem mißfälligen überprüfen des schäbigen Zustands ihrer Maniküre, riß sie den Brief auf und ließ ihre Blicke darüber hineilen, während ihr winziges steinernes Lächeln noch winziger und härter wurde. Schließlich bat sie mich um eine Picayune. Nahm einen Zug: «Schmeckt mies. Aber himmlisch», sagte sie und, indem sie mir den Brief zuwarf: «Kommt Ihnen möglicherweise gut zupaß - wenn Sie je über einen Schuft schreiben wollen. Und nur nicht egoistisch sein: lesen Sie's laut. Ich möchte es selber gern hören.»
    Es fing an: «Mein liebstes Mädelchen -»
    Gleich unterbrach Holly. Sie wollte wissen, was ich über die Handschrift dächte. Ich dachte nichts - eine enge, höchst lesbare, unauffällige Schrift. «Das ist er bis aufs I-Tüpfelchen. Zugeknöpft und verstopft», erklärte sie. «Weiter.»
    «Mein liebster, Mädelchen, ich habe dich geliebt im Bewußtsein, daß du nicht wie andere warst. Aber mache dir einen Begriff von meiner Verzweiflung, da ich in derart brutaler und öffentlicher Form entdecken muß, wie sehr verschieden du von jener Art Frauen bist, die ein Mann meines Glaubens und Berufes zu seinem Weibe zu machen hoffen dürfte. Ich gräme mich fürwahr wegen der Schande deiner derzeitigen Umstände, und ich finde in meinem Herzen keine Verurteilung, die ich der Verurteilung hinzufügen könnte, die dich umgibt. So hoffe ich denn, du findest es nicht in deinem Herzen, mich zu verurteilen. Ich habe meine Familie zu schützen und meinen Namen, und ich bin ein Feigling, wenn es um diese Institutionen geht. Vergiß mich, du schönes Kind. Ich bin nicht mehr hier. Ich bin nach Hause. Möge Gott jedoch stets mit dir und deinem Kinde sein. Möge Gott nicht sein wie Jose.*
    «Na?»
    «In gewisser Weise klingt das ganz ehrlich. Und sogar beinahe rührend.»
    «Rührend? Dieser schäbige Wicht!»
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    «Aber schließlich sagt er ja, er wäre ein Feigling; und von seinem Standpunkt aus müssen Sie doch einsehen -»
    Indessen wollte Holly nicht zugeben, daß sie einsah; ihr Gesicht jedoch gestand es zu, ungeachtet seiner kosmetischen Maske. «Na schön, er ist also nicht ohne Grund ein Schuft. Ein überlebensgroßer King-Kong Schuft wie Rusty. Oder Benny Shacklett. Aber ach, lieber Gott, verflucht noch mal», sagte sie und preßte sich die Faust in den Mund wie ein jammerndes Baby, «ich hatte ihn doch lieb. Den Schuft.»
    Das italienische Trio vermutete eine Liebeskrise, und indem sie die Schuld an Hollys Stöhnen dort suchten, wo sie ihrer Meinung nach hingehörte, klickten sie vorwurfsvoll ihre Zungen über mich. Ich war geschmeichelt stolz, daß irgend jemand denken konnte, Holly mache sich was aus mir. Sie wurde ruhiger, als ich ihr eine zweite Zigarette anbot. Sie schluckte und sagte: «Schönsten Dank, Junge. Und Dank vor allem, daß Sie solch ein schlechter Reiter sind. Wenn ich nicht Heilsarmee hätte spielen müssen, stände mir noch der Fraß in einem Heim für ledige Mütter bevor. Sportliche Überanstrengung, das schaffte die
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