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Frostnacht

Frostnacht

Titel: Frostnacht
Autoren: Arnaldur Indridason
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Rasen, der mit einer dicken Eisschicht bedeckt war, guckten nur an ein paar Stellen noch Grasbüschel heraus. Der Amtsarzt hatte den Tod festgestellt und suchte jetzt beim Haus Schutz vor dem Nordwind, wo er sich eine Zigarette anzündete. Er war sich nicht sicher, was den präzisen Zeitpunkt anging, aber wahrscheinlich war der Tod innerhalb der letzten Stunde eingetreten. Er wies darauf hin, dass man im gerichtsmedizinischen Institut Körpertemperatur und Frostgrade miteinander abgleichen müsste, um die genaue Zeit des Todes zu ermitteln. Auf den ersten Blick hatte der Arzt die Todesursache nicht ausmachen können. »Möglicherweise ein Sturz«, sagte er und schaute an dem düsteren Gebäude hoch.
    Niemand hatte die Leiche angerührt. Der Gerichtsmediziner war bereits unterwegs. Wenn er es einrichten konnte, kam er selber zum Tatort, um sich gemeinsam mit den Kriminalbeamten ein Bild zu machen. Erlendur war beunruhigt über die Tatsache, dass sich inzwischen immer mehr Leute an der Giebelseite des Hauses versammelten und im scharfen Licht der Blitze die Leiche sehen konnten. Autos verlangsamten im Vorbeifahren das Tempo, Augen saugten die Szenerie in sich auf. Die Leute von der Spurensicherung waren damit beschäftigt, kleine Scheinwerfer aufzustellen, damit der Tatort besser sondiert werden konnte. Erlendur wies einen der Polizisten an, das Gelände abzuschirmen. Von unten gesehen hatte es den Anschein, als seien alle Balkontüren auf den Etagen, die für einen solchen Sturz infrage kamen, geschlossen, ebenso wie die Fenster. Der Wohnblock war ein ziemlicher Koloss, sechs Stockwerke mit vier Treppenaufgängen. Das Gebäude wirkte heruntergekommen. Die Eisengeländer an den Balkons waren verrostet, der Außenanstrich war verblichen und blätterte an nicht wenigen Stellen ab. Von dort, wo Erlendur stand, sah er, dass in mindestens zwei verschiedenen Wohnungen die große Scheibe des Wohnzimmerfensters einen Sprung hatte. Niemand hatte sich darum gekümmert, sie auswechseln zu lassen.
    »Ob das etwas mit Ausländerfeindlichkeit zu tun hat?«, fragte Sigurður Óli, der auf die Leiche hinunterschaute.
    »Ich glaube, wir sollten uns nicht vorab auf etwas festlegen«, entgegnete Erlendur.
    »Könnte es sein, dass er an der Fassade hochgeklettert ist?«, fragte Elínborg und schaute an dem Wohnblock hoch.
    »Kinder kommen auf die unglaublichsten Einfälle«, sagte Sigurður Óli.
    »Wir müssen in Erfahrung bringen, ob er tatsächlich hier an den Balkons herumgeturnt ist«, sagte Erlendur.
    »Woher er wohl stammt?«, überlegte Sigurður Óli.
    »Meiner Meinung nach ist er asiatischer Abstammung«, antwortete Elínborg.
    »Also kann er Thailänder sein, Philippiner, Vietnamese, Koreaner, Japaner oder Chinese«, zählte Sigurður Óli auf. »Sollten wir nicht lieber davon ausgehen, dass er Isländer ist, bis sich etwas anderes herausstellt?«, sagte Erlendur.
    Sie standen schweigend in der Kälte neben dem Jungen, um den herum sich der Schnee anhäufte. Als Erlendurs Blick wieder auf die Schaulustigen am Ende des Hauses fiel, wo die Polizeiwagen standen, zog er sich den Mantel aus und breitete ihn über die Leiche.
    »Ist das korrekt?«, fragte Elínborg und sah zu den Kollegen von der Spurensicherung hinüber. Im Grunde genommen durften sie sich nicht in der Nähe des Opfers aufhalten, bevor sie die Erlaubnis dazu erhalten hatten.
    »Keine Ahnung«, sagte Erlendur.
    »Nicht gerade professionell«, erklärte Sigurður Óli.
    »Hat denn noch niemand den Jungen vermisst?«, fragte Erlendur, ohne auf Sigurður Ólis Bemerkung einzugehen. »Hat niemand hier in diesem Viertel nach einem vermissten Jungen in seinem Alter gefragt?«
    »Das hab ich bereits auf dem Weg hierher recherchiert«, entgegnete Elínborg. »Nein, bei der Polizei ist keine Meldung eingegangen.«
    Erlendur schaute auf seinen Mantel hinunter. Ihm war kalt.
    »Wer hat ihn gefunden?«
    »Der Junge wurde in einen der Treppenaufgänge gebracht«, sagte Sigurður Óli. »Er hat auf uns gewartet, nachdem er uns mit seinem Handy verständigt hatte. Heutzutage scheinen ja alle Kinder Handys zu haben. Er sagt, dass er nach der Schule die Abkürzung quer über das Grundstück genommen und dabei die Leiche gefunden hat.«
    »Ich unterhalte mich mit ihm«, sagte Erlendur. »Überprüft, ob ihr irgendwelche Spuren des Jungen hier im Umfeld finden könnt. Wenn er geblutet hat, könnte das durchaus der Fall sein. Vielleicht war es kein Sturz.«
    »Ist das nicht Sache der
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