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Frostnacht

Frostnacht

Titel: Frostnacht
Autoren: Arnaldur Indridason
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Spurensicherung?«, brummte Sigurður Óli, aber das überhörten Elínborg und Erlendur.
    »Er scheint nicht hier beim Haus angegriffen worden zu sein«, sagte Elínborg.
    »Und seht zu, dass ihr den anderen Stiefel findet«, sagte Erlendur und setzte sich in Bewegung.
    »Der Junge, der ihn gefunden hat …«, sagte Sigurður Óli. »Ja?«, sagte Erlendur und drehte sich um.
    »Er ist ebenfalls dunk…« Sigurður Óli zögerte.
    »Was?«
    »Er ist auch eines von diesen Zuwandererkindern«, sagte Sigurður Óli.
    Der Junge saß auf den Stufen in einem der Treppenaufgänge, eine Polizistin stand bei ihm. Neben sich hatte er eine gelbe Plastiktüte, in der zusammengeknüllte Sportsachen waren. Er starrte Erlendur misstrauisch an. Sie hatten ihn nicht in einem der Streifenwagen warten lassen, weil das womöglich dazu geführt hätte, dass man ihn mit dem Tod des Jungen in Verbindung brachte.
    Das Treppenhaus war dreckig, und der damit verbundene Gestank vermischte sich mit Zigarettenrauch und Essensgerüchen aus den einzelnen Wohnungen. Der Fußbodenbelag bestand aus zerschlissenem Linoleum. Die Wände waren mit etwas bekritzelt, was Erlendur kaum entziffern konnte. Die Eltern des Jungen waren noch bei der Arbeit, aber man hatte sie verständigt. Der dunkelhäutige Junge hatte schwarzes, glattes Haar, das noch feucht vom Duschen war, und große, auffallend weiße Zähne. Er trug Jeans und einen Winteranorak und hielt seine Mütze in der Hand.
    »Scheußliche Kälte draußen«, sagte Erlendur und rieb sich die Hände.
    Er erhielt keine Antwort.
    Erlendur setzte sich neben den Jungen, der Stefán hieß und dreizehn Jahre alt war. Er wohnte im nächsten Block. Seine Mutter stammte von den Philippinen.
    »Du musst doch geschockt gewesen sein, als du ihn gefunden hast«, sagte Erlendur nach längerem Schweigen.
    »Ja.«
    »Und du weißt, wer er ist, du hast ihn sofort erkannt?«
    Stefán hatte der Polizei gesagt, wie der Junge hieß und wo er wohnte, nämlich in diesem Block, aber in einem anderen Treppenaufgang. Die Polizisten waren immer noch damit beschäftigt, seine Eltern ausfindig zu machen. Niemand antwortete auf das Klingeln. Über die Familie wusste Stefán nur, dass die Mutter des Jungen »Süßigkeiten machte« und dass er einen Bruder hatte. Er gab an, den Jungen nicht besonders gut gekannt zu haben, genauso wenig seinen Bruder. Die Leute seien auch erst vor Kurzem da eingezogen.
    »Er wurde Elli genannt«, erklärte der Junge. »Er hieß Elías.«
    »War er tot, als du ihn gefunden hast?«
    »Ja, das glaube ich. Ich hab ihn geschüttelt, aber er rührte sich nicht.«
    »Und du hast die Polizei angerufen?«, sagte Erlendur, der es für angebracht hielt, den Jungen etwas aufzumuntern. »Das hast du gut gemacht, das war genau richtig. Was meinst du damit, wenn du sagst, dass seine Mama Süßigkeiten macht?«
    »Sie arbeitet in so ’ner Fabrik, wo sie Süßigkeiten herstellen.«
    »Hast du eine Ahnung, was mit Elli passiert ist?«
    »Nein.«
    »Kennst du irgendwelche Freunde von ihm?«
    »Nicht so richtig.«
    »Was hast du getan, nachdem du ihn geschüttelt hast?«
    »Nichts«, sagte der Junge. »Ich hab bloß bei der Polizei angerufen.«
    »Du kennst also die Nummer?«
    »Ja. Wenn ich aus der Schule nach Hause komme, bin ich ganz allein zu Haus, und Mama will wissen, was ich mache. Sie …«
    »Was?«
    »Mama hat mir gesagt, ich soll sofort die Polizei anrufen, wenn …«
    »Wenn was?«
    »Wenn irgendwas passiert.«
    »Was glaubst du, was hier passiert ist?«
    »Keine Ahnung.«
    »Du bist hier in Island geboren?«
    »Ja.«
    »Elli auch, oder weißt du nichts darüber?«
    Der Junge, der bislang nur auf das Linoleum gestarrt hatte, sah zu Erlendur auf.
    »Ja«, antwortete er.
    Elínborg flog mit der Außentür in den Hauseingang. Eine dünne Glasscheibe trennte Eingang und Treppenhaus, und Erlendur sah, dass sie seinen Mantel auf dem Arm hatte. Er lächelte den Jungen an und sagte zu ihm, dass er sich vielleicht noch ausführlicher mit ihm unterhalten müsse, stand auf und ging zu Elínborg.
    »Du weißt doch, dass du Kinder nur im Beisein der Eltern oder Erziehungsberechtigten oder Leuten vom Jugendamt und wie sie alle heißen verhören darfst«, sagte sie brüsk und reichte ihm seinen Mantel.
    »Ich habe ihn nicht verhört«, sagte Erlendur. »Hab ihn nur ganz allgemein nach ein paar Dingen gefragt.« Er sah auf den Mantel. »Hat man den Jungen schon weggebracht?«
    »Sie bringen ihn gerade ins Leichenschauhaus.
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