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Frostnacht

Frostnacht

Titel: Frostnacht
Autoren: Jennifer Estep
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Ninja zu, und sie hob eine Hand und winkte zurück. Ich mochte Aiko. Sie las Comics und Graphic Novels, genau wie ich.
    Ich trat auf den Pfad vor meinem Wohnheim und eilte über das Schulgelände. Aiko beobachtete mich, folgte mir aber nicht. Ihr Befehl lautete, das Wohnheim im Blick zu behalten – nicht unbedingt mich. Das war Alexeis Aufgabe. Ich fühlte mich schlecht, weil ich ihm gegenüber mein Versprechen brach, zu Hause zu bleiben, aber ich konnte nicht den Rest des Abends in meinem Zimmer herumsitzen. Nicht nach diesem schrecklichen Albtraum. Also ging ich in Richtung des Hephaistos-Wohnheims, einem der Wohnheime für Jungen.
    Alle Wohnheime in Mythos konnte man nur mit einem Ausweis betreten, und die Karte erlaubte jeweils nur den Zutritt zu dem Wohnheim, in dem man selbst lebte. Aber wenn man nur lang genug auf die Klingel drückte, nervte das schnell irgendwen genug, um den Summer zu betätigen, ohne wirklich sicherzustellen, dass man auch dorthin gehörte. Wir Schüler waren in dieser Hinsicht total faul und bequemlich. Ich musste nur ungefähr eine halbe Minute die Klingel schrillen lassen, bevor sich die Tür öffnete.
    »Es reicht!«, rumpelte eine männliche Stimme aus den Tiefen des Wohnheims. »Wir versuchen hier ein Spiel anzuschauen!«
    Ich grinste, öffnete die Tür und trat ein, bevor der Kerl kam, um nachzusehen. Dem abwechselnden Jubel und Stöhnen nach zu schließen, das ich aus dem Gemeinschaftsraum hörte, schauten so gut wie alle im Wohnheim das Spiel. Das machte es mir leichter, die Stufen in den vierten Stock zu erklimmen. Ich hielt am Treppenabsatz inne und fragte mich, ob sich vielleicht jemand in seinem Zimmer aufhielt und lernte, aber alles war ruhig und still. Die Luft war rein, also schlich ich den Flur entlang zur letzten Tür.
    Ich hielt an und legte lauschend den Kopf schräg, konnte aber von der anderen Seite nichts hören. Allerdings hatte ich das auch nicht erwartet – ich wusste genau, wie leer dieses spezielle Zimmer war. Ich griff in meine Tasche und zog meinen Geldbeutel heraus. Es kostete mich nur eine Minute, meinen Führerschein zwischen Schloss und Türrahmen zu schieben und die Tür so zu öffnen. Ich glitt in das Zimmer, dann schloss ich schnell die Tür wieder hinter mir.
    Der Raum war dunkel, also drückte ich den Schalter. Die Lichter gingen an und enthüllten dieselben Möbel wie bei allen anderen Mythos-Schülern. Ein Bett, ein Schreibtisch, ein paar Bücherregale, ein Flachbildfernseher an einer der Wände. Das Einzige, was dieses Zimmer von anderen unterschied, waren all die Trophäen, die er gewonnen hatte. Dutzende kleiner goldener Männer mit Schwertern, Speeren und anderen Waffen in der Hand spähten vom Schreibtisch, den Regalbrettern und einem Brett über dem Bett zu mir herüber. In einer Ecke stand sogar eine lebensgroße Trophäe, die einen Kampfstab in der Hand hielt, als wollte der dargestellte Mann jeden Moment vortreten und mir die Waffe über den Kopf schlagen. Ich schauderte und wandte den Blick ab. Irgendwie machte die Tatsache, dass keine der Trophäen ein richtiges Gesicht hatte, sie nur umso unheimlicher.
    Ich hörte ein lautes Seufzen und verstand, dass Vic aufgewacht war. Das Schwert war eingeschlafen, während ich unterwegs gewesen war, wie es das gewöhnlich tat, wenn es in seiner Scheide steckte. Jetzt zog ich die Waffe aus der Lederhülle und hob Vic hoch, damit ich ihm ins Gesicht sehen konnte. Das Schwert blickte sich im Raum um.
    Vic seufzte erneut. »Wirklich? Du willst schon wieder hier rumsitzen und Trübsal blasen?«
    »Ich blase nicht Trübsal«, erklärte ich abwehrend.
    »Ach ja?«, fragte Vic, und sein englischer Akzent ließ ihn umso sarkastischer klingen. »Ich finde, auf dem Bett des Spartaners herumzusitzen und seine Sachen anzustarren gilt definitiv als Trübsal blasen. Vielleicht sogar als Grübeln. Besonders da du es ein Dutzend Mal getan hast, seit Logan die Schule verlassen hat.«
    Ich sah mich in Logans Zimmer um. Vielleicht hatte Vic recht. Vielleicht blies ich tatsächlich Trübsal wegen des Spartaners und der Tatsache, dass er Mythos verlassen hatte – dass er mich verlassen hatte.
    Zum ersten Mal war ich vor zwei Wochen hergekommen, um vielleicht Hinweise darauf zu finden, wo Logan hingegangen sein könnte. Der Spartaner hatte mich gebeten, nicht nach ihm zu suchen, und ich hatte seinen Wunsch eigentlich respektieren wollen. Wirklich. Ich hatte nicht vor, ihm zu folgen und ihn anzuflehen, zurückzukommen
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