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Frostbite

Frostbite

Titel: Frostbite
Autoren: David Wellington
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flutete.
    Im Teich trat sie wie verrückt um sich und kämpfte darum, dem Wasser
zu entkommen. Sie veranstaltete einen schrecklichen Lärm, taumelte ans Ufer und
sank dort halb erfroren und schmerzgepeinigt zusammen. Und wusste, dass es noch
nicht vorbei war. Bobby war noch dort draußen. Sie musste aufstehen. Sie musste
weiterlaufen.
    Aus irgendeinem Grund schmerzte ihr Arm. Sie starrte zu den Sternen
hinauf. In der nächsten Sekunde würde sie weitermachen, würde sie aufstehen und
in Bewegung kommen. Nur noch eine Sekunde.
    Am Himmel flackerte das Nordlicht und flatterte wie ein vom Wind
erfasster Vorhang. Es war so schön. Grüne Blitze tanzten über das Firmament und
ähnelten Wasserfällen aus Licht. Es fiel so schwer, den Blick abzuwenden. Und
Chey wollte es auch gar nicht.
    Aber sie musste es, es blieb ihr nichts anderes übrig – doch
eine Sekunde wollte sie sich gönnen. Nur eine Sekunde zusehen, ein letztes
wunderschönes Naturschauspiel beobachten. In der nächsten Sekunde würde sie …
    Ihr Arm tat wirklich weh. Der Schmerz brannte wie Säure und nagte an
ihr. Wie Gift, das durch ihr Blut strömte. Es war … es war …
    Sie senkte den Blick, und da strömte Blut aus einer Wunde im
Oberarmmuskel und färbte den Overall in der
Dunkelheit schwarz. Ein kleines, völlig rundes Loch war durch den Stoff
gestanzt worden.
    O
nein, dachte sie. Nein. Balfour hatte auf sie geschossen, bevor er gestorben
war. Sie hatte angenommen, dass die Kugel irgendwo gelandet sei. Der Schuss
konnte sie unmöglich getroffen haben – das hätte sie gefühlt. Hätte sie es
gefühlt? Als Entsetzen und Schock ihren Kreislauf mit so viel Adrenalin
überschwemmt hatten, dass sie nichts mehr spürte.
    Eine Schusswunde, also gut. Und er hatte mit einer Pistole
geschossen. Was bedeutete, dass die Kugel vermutlich aus Silber gewesen war.
Falls das zutraf … falls das so war, musste sie etwas unternehmen. Sie musste …
sie musste … sie war so müde … sie musste sie
aus dem Fleisch schneiden. Mein Gott, es tat so weh, sie musste …
    Chey verlor das Bewusstsein.
    Die Silberkugel in ihrem Arm raubte ihr jede Kraft. Sie hatte sich
bereits weit über ihre Grenzen hinaus angetrieben, und nun hatte sie keine
Reserven mehr, um gegen das Gift anzukämpfen. Ihr Körper konnte keine Minute
länger weitermachen – so einfach war das.
    Sie wachte nicht auf, als die Sonne aufging und ihren ausgekühlten
Körper wärmte. Sie wachte auch Stunden später nicht auf, als der Mond ebenfalls
aufging und das Silberlicht sie verwandelte.
    Silber, Silber, Silber in ihrem Innern, Silber.
    Die Wölfin stand auf und hechelte in den Wind.
    Silber, Silber, Silber. Silber. Die Wölfin wusste genau, was nicht
stimmte. Sie fühlte sich schwach, schwächer
als je zuvor. Sie fühlte sich krank, und jeder Gedanke an Nahrung
verstärkte die Übelkeit noch. Ihr war zugleich heiß und kalt, und sie wusste,
dass sie im Sterben lag. Ihr Bein enthielt Silber – wie war es dort
hineingelangt? Sie konnte es sich einfach nicht vorstellen.
    Sie hob das verletzte Bein und umfasste es mit den Zähnen. Reiß es
ab! Beiß es ab und spuck es in das Giftwasser, wo es hingehört! Das Gleiche
hatte sie schon zuvor getan, um der Kette zu entfliehen.
    Ihre Zähne durchbohrten das Fell,
und dann jaulte sie schrill und wälzte sich am Boden, schabte die Stirn gegen
den harten Untergrund, kniff die Augen fest zusammen. Schmerzen! Ihre Zähne
hatten das Silber berührt, und ihr ganzer Schädel war förmlich vor Schmerzen
explodiert. Ihre Nerven sangen einen schrillen, hohen Ton, der in den Ohren und
im Gehirn summte. Sie warf sich herum und schüttelte sich, gab gedämpfte, schreiähnliche
Laute von sich, bis die Schmerzen etwas nachließen, bis sie wieder klar denken
konnte.
    Sie konnte das Bein nicht abbeißen. Sie konnte das Silber nicht
herausbeißen. Jede Faser ihres Wesens schrie nach Erleichterung, nach Trost,
aber sie konnte keinen Trost spenden.
    Silber, Silber, Silber, in ihr war Silber, giftiges Silber.
    Sie rannte im Kreis. Rannte
blindlings in verschiedene Richtungen, als könne sie vor den Schmerzen
davonlaufen. Sie warf den Kopf in den Nacken und heulte, heulte, kläffte, wimmerte,
brüllte. Nichts half. Da hörte sie das Echo einer Antwort, eine Erwiderung aus
der Ferne, und sie wusste, dass der andere Wolf in der Nähe war. Vielleicht …
vielleicht konnte er ihr helfen. Aber täte er es auch? Er hatte sie umzubringen
versucht, oder etwa nicht?
    Das hatte
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