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Frostbite

Frostbite

Titel: Frostbite
Autoren: David Wellington
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falls … falls … sie war schon so müde … Wenn
sie es zwischen die Gebäude schaffte, in die Schatten, konnte der Hubschrauber
nicht folgen. Sie grub die Hinterbeine in den Boden und stieß sich ab, sprang,
arbeitete sich den Hügel hinauf.
    Silber, Silber, Silber, Silber, Silber, Silber, Silber, Silber,
Silber, Silber, Silber. Es nahm kein Ende, überall ringsum fiel Mondlicht,
gefrorenes silbernes Mondlicht, gehärtet und grausam gemacht, tödlich gemacht.
Einschläge wühlten den Boden auf, als ringsum Kugeln flogen.
    Da – das Ende des Hangs, der
Gipfel, der Kamm, sie konnte ihn sehen. Sie strengte sich an, gab alles,
schnellte durch die Luft, sprang wie ein Lachs stromaufwärts. Vor ihr erhoben
sich die Gebäude, waren falsch und rechteckig, aber ihre einzig mögliche
Rettung. Sie jagte eine Straße entlang, verfolgt von Silber, Silber, Silber,
sie hatte keine Kraft mehr, sie konnte nicht mehr rennen, konnte sich bloß noch
zusammenducken, Silber, Silber, Silber.
    Eine Kugel verfehlte ihr Rückgrat nur um Zentimeter. Sie blieb in
ihrer Leber stecken, und eine neue Giftwoge breitete sich in ihrem Körper aus.
Die Wölfin jaulte schrill, jaulte vor Entsetzen und Schmerz und rollte sich auf
die Seite, wälzte sich herum, wälzte sich in die Schatten, wälzte sich in die
Dunkelheit. Über ihrem Kopf prallte eine Kugel von der Metallwand eines
Gebäudes ab.
    Silber in ihr, Silber, Silber in
ihr, Silber in ihren Eingeweiden, Silber in ihrem Bein. Sie war zu keinem
weiteren Schritt mehr fähig. Die Schmerzen waren einfach zu groß. Sie brach zu
einem Bündel zusammen, strengte sich an, kämpfte sich wieder hoch, kam auf die
Beine. Sie sammelte ihren Atem und stimmte ein letztes Heulen an, den Aufschrei
einer Sterbenden, eine klagende, eintönige Symphonie.
    Über ihr sank der Hubschrauber durch die kalte Luft, sein Lärm war
so gewaltig, so laut, so ohrenbetäubend. Silber klirrte gegen das Gebäude, nur
einmal, dieses Mal aber noch näher. Wieder Silber. Peng. Der Hubschrauber sackte tiefer, senkte sich auf die Höhe des Gebäudedachs. Die
Wölfin konnte nichts anderes tun, als ihrem Tod ins Auge blicken.
    Da sprang der andere Wolf vom Dach des Gebäudes herab und schlug die
Krallen in die Plexiglaskanzel des Hubschraubers. Sein Körper schwang wie ein
muskulöses Pendel hin und her, als der Hubschrauber schaukelte und bockte und
sich auf der Stelle drehte. Das Gewicht zog die Maschine herum, zerrte sie
durch die Luft. Sofort wurde der Wolf wieder abgeschüttelt, schleuderte durch
die Luft. Aber nicht bevor der Hubschrauber an seinem Rotor aus dem
Gleichgewicht gebracht war und sich zur Seite neigte.
    Die Rotorspitze küsste mit lautem Kreischen die Wellblechwand. Ein
Wettstreit, den keiner der beiden gewinnen konnte – die Wand wurde
aufgeschlitzt wie mit einem riesigen Dosenöffner, während der Glasfaserverbund
des Rotorblatts splitterte und brach. Der Hubschrauber kippte aus seiner Achse
und drehte sich in einem großen Bogen. Wie ein von Riesenhand geschleuderter
Diskus taumelte er außer Kontrolle durch die Luft, bis er gegen ein anderes
Gebäude krachte. Dann fiel er wie ein Stein. Metall barst, Plastik brach,
Menschen schrien. Licht flackerte, dann wurde Port Radium zum ersten Mal seit
Jahrzehnten von Feuer erhellt, als sich der Treibstoff blitzartig entzündete. Er
brannte nicht lange.

60   Er
kam zu ihr, der andere Wolf. Sie hatte ihn durch die Luft fliegen sehen. Auch
wenn sie ihn nicht auf dem Boden hatte aufschlagen hören, wusste sie, dass er
sich bei der Landung verletzt haben musste. Er verlagerte das Gewicht auf ein
Hinterbein – vielleicht war das andere beim Aufprall gebrochen. Er
wimmerte und jaulte nicht, als er durch die Schatten schlich. Seine Nase
zuckte, als er nach ihr schnüffelte.
    Als er sie fand, war sie kaum noch
bei Bewusstsein. Ihr Atem ging stoßweise, flache Atemzüge pfiffen aus ihren
Lungen. Es war nicht einmal mehr ein Hecheln, sondern das mühsame Ringen nach
Luft einer Sterbenden.
    Die Wölfin trug Silber in sich. Sie
war vergiftet und erledigt. Er verschwendete keine Zeit mit einer Begrüßung, sondern
stürzte sich mit einem bösartigen Knurren auf sie. Zerrte mit den mächtigen
Kiefern an ihr, riss sie förmlich auseinander. Er zerbiss ihren Bauch, und ihre
stinkenden Eingeweide platzten auf den gesprungenen Asphalt. Er riss ihr Bein
ab und schleuderte es wie vergiftetes Fleisch in die Dunkelheit.
    Der Schmerz war unbeschreiblich, aber die Wölfin konnte
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