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Frostbite

Frostbite

Titel: Frostbite
Autoren: David Wellington
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Weidengestrüpp
erwies. Sie schlang die Arme darum, hustete, keuchte und pumpte Luft in ihre
Lungen.
    Schließlich verfügte sie wieder über genügend Kraft, um sich aus dem
Wasser zu hieven. Inzwischen reichte es ihr nur noch bis zu den Hüften. Mit
einiger Mühe konnte sie gehen. Nach der ersten explosiven Flut hatte sich die
Kraft des Wassers erschöpft, und sie konnte den neu entstandenen Fluss
durchwaten, ohne erneut unter die Oberfläche gerissen zu werden. Am anderen Ufer zog sie sich auf den kalten Schlamm und die
freigelegten Baumwurzeln hinauf und lag lange Zeit zitternd dort. Sie musste
wieder trocken werden, das wusste sie. Sie musste sich wärmen. In ihrem
Rucksack befanden sich Kleidung zum Wechseln und ein Feuerzeug. Feuerholz wäre
gewiss leicht zu finden.
    Langsam und mit Mühe rollte sie
sich herum. Sie war klatschnass und eiskalt. Ihre Haut fühlte sich an
wie feuchtes Gummi. Die Schmerzen würden einsetzen, sobald sie wieder warm war,
das war ihr klar. Sie würde sich mit zahllosen Prellungen herumschlagen müssen,
vielleicht sogar mit gebrochenen Knochen. Aber das war immer noch besser, als
zu erfrieren. Sie streifte den Rucksack ab und griff nach der Klappe. Aber es
waren nur noch Reste übrig.
    Die Klappe war zerrissen. Der Rucksack selbst bestand fast nur noch
aus Fetzen. Die Steine mussten ihn zerschnitten haben, als die Strömung Chey
über den Boden geschleift hatte. Er hatte ihren Rücken vor dem Schlimmsten bewahrt,
sich dabei aber geöffnet und den gesamten Inhalt verstreut. Chey starrte auf
den Fluss. Ihre Ausrüstung, die trockene Kleidung, die Taschenlampe, der
Proviant lagen vermutlich über das halbe Territorium verteilt, fortgespült vom
Wasser.
    Mit zitternden Fingern grub sie in den Überresten des Rucksacks
herum. Es musste doch noch etwas da sein! Vielleicht waren die größeren
Gegenstände nicht weggeschwemmt worden. Einiges kam tatsächlich zum Vorschein.
Der Aufsatz des Coleman-Benzinkochers war zu
schwer gewesen, um fortgerissen zu werden, aber Benzin und Töpfe waren
verschwunden. Somit war der Kocher nutzlos
geworden. Ihr Handy steckte noch immer in seiner verschlossenen Hülle.
Wasser tropfe heraus, als sie es in die Höhe hielt, aber es piepste fröhlich,
als sie es einschaltete.
    Sie konnte Hilfe holen. Vielleicht war die Situation ja schlimm
genug für einen solchen Schritt.
    Nein. Sie schaltete das Telefon aus, um den Akku zu schonen. Noch
nicht.
    Rief sie gleich um Hilfe, würde sie vermutlich auf der Stelle eintreffen.
Man würde sie in die Zivilisation ausfliegen. Aber dann durfte sie garantiert
niemals zurückkehren, um es erneut zu versuchen. Dann würde sie nie schaffen,
wozu sie hergekommen war. Sie schob das Handy in die Tasche. Es würde später
noch gebraucht, sofern sie lange genug überlebte.
    Die Karte, die ihr der Hubschrauberpilot gegeben hatte, war auch
noch da, aber im Wasser war die Tinte verlaufen,
und sie konnte sie kaum lesen. Der Rest ihrer Sachen war weg. Das Zelt
war verschwunden. Die trockene Kleidung war verloren gegangen. Ihre Waffe war
unauffindbar.
    Sie benutzte das restliche Tageslicht, um das steile Ufer des neu
entstandenen Flusses abzusuchen. Vielleicht, nur vielleicht war ja etwas
angespült worden. Der Mond ging gerade auf, als sie an einem zur Hälfte
untergetauchten Ast etwas Silbriges schimmern sah. Sie sprang ins Wasser, um es
zu bergen. Sie betete, dass es genau das war, worum sie betete, packte mit
beiden Händen zu und hielt den Fund dicht ans Gesicht. Es war der Folienbeutel
mit den Energieriegeln. Wandernahrung. Tränen schossen ihr in die Augen, aber
sie war so hungrig, dass sie die Tränen unterdrückte, einen der Riegel aufriss
und sich den Inhalt in den Mund stopfte.
    In dieser Nacht vergrub sie sich unter einem Haufen aus Kiefernnadeln
und verrottenden Blättern.

2   Am Morgen war alles durchnässt, und es juckte
am ganzen Körper. Cheys Haut fühlte sich an wie mit einer Drahtbürste
bearbeitet. Aber sie wusste genau, dass die wirkliche Quälerei erst in dem
Augenblick anfing, wenn sie sich aus den Kiefernnadeln erhob.
    Und sie behielt recht. Als sie Arme und Beine bewegte und sich
aufsetzte, fühlte sich jeder Muskel in ihrem Körper an, als hätte er sich über
Nacht in Stein verwandelt und werde gleich zerspringen. Die Steifheit schmerzte
wirklich, und ihr wurde wieder einmal bewusst, wie selten man in der
Zivilisation echte Schmerzen verspürte. Möglicherweise stieß man sich den Zeh
am Wohnzimmertisch oder
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