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Frostbite

Frostbite

Titel: Frostbite
Autoren: David Wellington
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keine Bedeutung mehr. Er war der Einzige, der
möglicherweise helfen konnte. Sie rannte auf ihn zu, heulte und folgte seiner
Antwort. Sie würden sich treffen. Sie würden wieder zusammenkommen. Sie würden
sich wie Rudelgefährten treffen, und er würde ihr helfen. Er würde etwas tun.
Etwas tun, irgendetwas für sie tun.
    Aber bevor sie ihn überhaupt witterte, zerstückelte ein ohrenbetäubendes Brummen die Nacht, schnitt sie
in kleine Stücke. Das Flugding der Menschen. Die Wölfin konnte sich nicht vorstellen, was ein Hubschrauber war, aber sie
wusste, was er beförderte – den Tod.
Mit angelegten Ohren beobachtete sie, wie er über der anderen Seite des
Schrotthügels aufstieg und geradewegs auf sie zukam.
    Die Wölfin rannte.

59   Silber,
Silber, Silber.
    Silber in ihrem Körper. Silber im Mond. Silberkugeln, die im Boden
einschlugen und dann in die Finsternis davonpfiffen.
    Sie rannte – Silber. Silber, Silber, Silber. Überall Silber.
Sie roch es in der Luft. Nichts auf der Welt fürchtete sie so wie Silber.
    Die Wölfin fürchtete sich sehr.
    Die Wölfin war außer sich vor Angst.
    Die Wölfin rannte.
    Silber. Wie ein unheilvoller Regen prasselte es aus dem
Hubschrauber, Kugeln schlugen im Rhythmus ihrer keuchenden Gedanken und ihres
mühsam pochenden Herzens im Boden ein.
    Silber, Silber, Silber, Silber, Silber.
    Sie hetzte am Teich entlang, ihre Pfoten wirbelten das schreckliche,
giftmüllverseuchte Wasser auf. Der Hubschrauber schaukelte an seinem Rotor und
folgte ihr. Sie bewegte sich langsam – ihr Körper stand kurz vor dem
Zusammenbruch. Und die Kugeln regneten noch immer in die Tiefe, unsichtbare
Strahlen, die sich in sie hineinbohren, sie in Stücke schneiden würden.
    In der Ferne heulte der andere Wolf. Er war schon näher gekommen,
viel näher. Aber noch immer zu weit weg, um helfen zu können.
    Sie rannte. Links und rechts von ihr rissen Kugeln die Erde auf. Die
spuckende Waffe dort oben schien ihr Ziel nicht zu treffen, aber ihr war klar,
dass sie bisher Glück gehabt hatte. Irgendwann würde eine Kugel sie erwischen.
Und dann würde sie sterben.
    Vor ihr wühlte Silber den Boden auf. Sie fuhr herum und rannte auf
den Hubschrauber zu, als könne sie ihn angreifen, als könne sie hoch genug
springen, um ihre Krallen in den Metallbauch zu schlagen. Und der Hubschrauber machte
tatsächlich einen Satz, rollte von einer Seite zur anderen, als hätte er Angst
vor ihr. Die Wölfin knurrte vor Freude. Menschen saßen darin, das wusste sie.
Das war ein von Menschen gemachtes Ding, und da saßen Menschen drin, Menschen,
Menschen. Sie roch ihr Blut, den Schweiß auf ihrer Haut. Sie erkannte sogar den unverwechselbaren Gestank des
einen, der sie an die Kette gelegt hatte. Oh, wie sie sich danach
verzehrte, seine Kehle zwischen ihren scharfen Zähnen zu spüren.
    Eine Kugel kam so nahe, dass ihr abgesprengte Felssplitter ins Auge
spritzten. Sie schüttelte den Kopf und fintierte nach links, raste aber nach
rechts.
    Ein guter Zug – der Hubschrauber schwang wild herum, um ihr zu
folgen, wackelte, legte sich beinahe auf die Seite. Aber sie wurde schwächer.
Weit konnte sie nicht mehr laufen.
    Der andere Wolf heulte, war schon so nahe, dass sie seine Schritte
wahrnahm. Was konnte er ausrichten? Gab er sein Leben für das ihre, fing er die
für ihren Schädel gedachte Kugel ab? Sie bezweifelte es. Er hatte sie töten
wollen, töten, töten – sie hatte sich so sehr geirrt, was diesen Rüden
anging, er war nicht ihr Feind. Er war der Einzige, der ihr helfen konnte. Er
war … er hätte ihr Gefährte sein sollen. Sie sehnte sich nach ihm, sang ein
langes, einsames Heulen für ihn, achtete einen Moment lang nicht darauf, in
welche Richtung sie …
    Silber durchschlug ihre linke Vorderpfote.
    Überrascht kläffte die Wölfin auf, dann jaulte sie vor Schmerz. Ihr Blut zeichnete einen Pfotenabdruck auf
den Boden. Sie rang bereits nach Luft, und die neue Wunde bewirkte, dass sie
sich tief in ihrem Innern zusammenkrümmte, sich hinlegen, aufgeben, sterben
wollte. Aber das da oben waren Menschen, Männer, und für sie würde sie nicht
stehen bleiben. Niemals würde sie sich einem Menschen ergeben.
    Vor ihr ragte ein Hügel auf. Ein
mühsamer Aufstieg, selbst bei vollen Kräften. Er würde sie noch langsamer
machen. Aber dort oben standen Gebäude, große, rechteckige, unnatürliche, von
Menschen erbaute Gebäude, und ihre Schatten verdeckten die Sterne. Falls sie
dazwischen untertauchen konnte …
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