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Fronttheater

Fronttheater

Titel: Fronttheater
Autoren: Heinz G. Konsalik
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neuen Stolowaja Stapeln, bis die großen Lastwagen der Sowchose kommen und sie abholen.«
    Sie setzte sich neben Irene und nahm deren fieberheiße Hand in die ihre. »Aber das alles werden wir nicht mehr sehen, Leutnant. Wir gehören nicht mehr in diese neue Zeit.«
    »Ich habe einmal davon geträumt, eine Frau zu haben, Kinder, ein kleines Haus irgendwo im Grünen. Vielleicht an einem See. Es ist so schön, am Morgen hinauszufahren.« Kramer wischte sich über die Augen. Mit dieser Bewegung zerstörte er den Traum. »Phantasien … verlorene Generation. Ist das nicht alles dumm?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Ich träume von der Steppe. Von einem Pferd, wild wie der Wind. Von der Taiga, von einem Fluß, von Sandbänken mit wilden Schwänen. Von Füchsen und Wölfen und von Bären.«
    »Es ist ein schönes, wildes Land, dein Rußland«, sagte Kramer leise. Er lehnte sich wieder mit dem Rücken an die Wand. Irene hatte die Augen geschlossen. Ihr Herz war schwach geworden, aber noch immer bäumte es sich auf und wollte weiterleben.
    Durch das Dorf ratterte ein Motor. Ganz deutlich hörte man ihn in der Stille. Arischa nickte.
    »Sie sind da …«
    Oben auf der Dorfstraße ratterte es erneut. Stimmen wurden laut. Zurufe.
    Die Kellertreppe herab tappten Schritte.
    Arischa erhob sich. Sie zog die Bluse und den Rock gerade und ging langsam zum Eingang.
    Eine rauhe Stimme brüllte die Treppe herunter: »Germanskij – Kriegg aus! Komm hoch! Dawai!«
    Dann Stille. Man wartete droben auf eine Antwort. Auf das Emporkommen schwankender Gestalten, die Arme in den Himmel gereckt.
    Als niemand kam, ratterte eine Maschinenpistole. Die Kugeln pfiffen neben Arischa in die Wand.
    Arischa rief etwas hinauf. Kramer verstand es nicht. Sie warf mit einer ruckartigen Bewegung die Haare aus der Stirn und ging die Treppe hinauf.
    Mit angehaltenem Atem wartete Kramer auf die Schüsse.
    Aber es blieb still. Er hörte Stimmen. Stiefel klapperten erneut auf der Kellertreppe. – Sie entfernten sich wieder.
    Kramer umfaßte beide Hände Irenes. Eine letzte Frist …
    Oben vor dem Haus des Dorfsowjets stand Oberleutnant Michail Pjelkow. Er grüßte, als Arischa Tulpanowa aus dem Keller stieg, so wie man seinen Vorgesetzten grüßt oder einen, den man ehren muß.
    Hinter ihm stand der Partisanenführer. Wild, bärtig, urweltlich. Er sah Arischa böse an.
    Oberleutnant Pjelkow gab Arischa die Hand. »Ich begrüße Sie, Genossin Leutnant«, sagte er. Die Partisanen standen herum und starrten ungläubig. Leutnant? Arischa?
    »Im Keller sind Schwerverwundete, Oberleutnant. Auch ein Mädchen. Es muß sofort zum Chirurgen. Haben Sie einen Wagen hier?«
    »Einen Jeep, Genossin.«
    »Wo ist der nächste Arzt?«
    »Beim Bataillon. Eine Stunde Fahrt vielleicht.«
    Arischa sah hinüber zu den wilden Gestalten ihrer Landsleute.
    Wölfe mit menschenähnlichen Gesichtern. In ihren Gesichtern nichts als Haß.
    »Nehmen Sie den deutschen Leutnant bitte mit zum Bataillon, Oberleutnant«, sagte sie laut. »Er ist der Verlobte des Mädchens. Er läuft Ihnen nicht weg. Wenn er wissen wird, daß sie weiterleben kann, wird er der glücklichste Gefangene Rußlands sein. Er hat mir durch sein Erscheinen das Leben gerettet. Ein deutscher Parteigenosse suchte mich.«
    Michail Pjelkow winkte dem Fahrer des Jeep und drei Rotarmisten. »Bringt sie hoch.«
    Arischa hielt sie mit einem Wink zurück. »Wartet, der Leutnant wird schießen. Ich werde mitgehen …«
    »Erschlagen sollte man ihn!« brummte der Partisanenführer. »Er will noch schießen!«
    »Weil er nur euch kennt!« sagte Arischa und sah ihre alten Freunde aus harten Augen an. »Ihr habt Rußland einen großen Dienst getan. Ihr seid Helden, Genossen. Aber ihr seid vom Krieg verzaubert worden. Ihr seid keine Menschen mehr. Ihr seht nur noch Blut und Leichen. Aber die Welt ist schön – ihr habt es nur verlernt.«
    Oberleutnant Pjelkow ging mit Arischa zur Kellertreppe und stieg hinunter. Auf halber Tiefe hielten sie an und riefen hinab.
    »Leutnant!« rief Arischa. »Sie kommen als Freunde, nicht schießen. Sie werden Irene operieren. Es sind Soldaten, keine Partisanen!«
    Leutnant Kramer hatte bei den ersten Schritten, die er auf der Kellertreppe hörte, die Pistole an die Schläfe Irenes gelegt. Einen Augenblick zögerte er, abzudrücken, das letzte Zögern vor einer Tat, die auch den Abschluß seines Lebens bilden würde.
    Dieses Zögern rettet ihn. Er hörte die Stimme Arischas. Was sie rief, verstand er in
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