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Fronttheater

Fronttheater

Titel: Fronttheater
Autoren: Heinz G. Konsalik
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ritt eine Hexe auf dem Besen über die Bretter. Das Licht drang durch das dünne Trikot, das sie trug, und machte die Umrisse sichtbar.
    »Sonja«, stöhnte Doelles hingerissen.
    Plötzlich war ein lautes Rauschen in der Luft. Ein widerliches Jaulen.
    Mit einem Schlag war es im Saal still. Totenstill. Mit angstvollen Gesichtern sahen die Männer nach oben. Nach der Decke.
    Und dann krachte es. Ein helles, berstendes Krachen.
    »Feuerüberfall!«
    Von der Decke rieselte der Putz herunter.
    Das Licht des Scheinwerfers flackerte und erlosch.
    »Deckung!« brüllte jemand.
    Vierhundert Männer drängten sich zu den Ausgängen. Über ihnen jaulten die Geschosse der russischen Feldartillerie, schlugen fetzend in den steinhart gefrorenen Boden.
    Wie ein Rammbock drängt sich Jupp Doelles durch die verkeilte Masse der Landser, die sich zu den Ausgängen schiebt.
    Ich muß Sonja retten, denkt er. Ich muß sie rausbringen. Als der Scheinwerfer erlosch, hatte er sie von der Bühne springen sehen. Sie muß in der Umkleidekabine sein.
    Endlich hat er sich durchgeboxt und tastet sich an der Bühnenkante entlang.
    »Sonja!« ruft er durch das Heulen und Krachen der Granaten.
    Er stolpert in die Umkleidekabine, greift an einen weichen Körper.
    »Jetzt aber dalli!« Er reißt das Mädchen mit sich fort.
    Das Mädchen schluchzt hysterisch, als er es durch die kleine Hinterpforte ins Freie zerrt.
    Wieder orgelt es über ihnen.
    »Runter!« schreit Doelles und reißt das Mädchen mit sich auf den Boden.
    Dicht neben ihnen kracht die Granate in eine Kate. Ein grellweißer Flammenpilz schießt aus dem Gemäuer. Die Explosion zerreißt ihnen fast das Trommelfell. Holztrümmer regnen um sie her.
    »Weiter!« Doelles hört seine eigene Stimme nicht mehr. Er hetzt mit dem Mädchen durch die Dunkelheit, aus dem Dorf hinaus.
    »Wo wollen Sie mit mir hin?« hört er ihre Frage.
    »In den Keller!« brüllt er. »Das ist der einzig sichere Platz bei dem Geballer!«
    Sie müssen noch dreimal zu Boden, bevor sie Doelles' Bau erreichen. Völlig ausgepumpt zerrt Doelles die Tarnung von dem Loch, schiebt das Mädchen hinein und kriecht hinterher.
    »So, das hätten wir geschafft!« Doelles zieht von innen die Tarnung vor den Einstieg.
    Aus dem Dunkel hört er das Mädchen schluchzen.
    »Nun sei ganz ruhig, Mädchen«, sagt er tröstend. »Hier kann dir nichts mehr passieren.« Jedenfalls nicht von der Artillerie, setzt er in Gedanken hinzu. Langsam tastet er sich durch das Dunkel.
    »Verdammt!« Er hat seinen Kopf gegen den Ofen gestoßen. »Wo bist du denn?« fragt er. Das Mädchen antwortet nicht.
    Doelles lauscht auf ihren leisen Atem und kriecht weiter. »Ich glaube, es hat aufgehört«, sagt sie plötzlich dicht neben ihm. Doelles hebt den Kopf. Vor lauter Aufregung hat er gar nicht gemerkt, daß es nicht mehr kracht.
    »Dann können wir ja ein bißchen Licht machen.« Er reißt ein Streichholz an. Zwei Kerzen auf dem Tisch verbreiten ein schwaches Licht.
    »So, und jetzt wollen wir mal …«
    Der Rest des Satzes bleibt Doelles im Halse stecken, als er sich umdreht und auf das Mädchen zugehen will. »Ach, du heiliger Strohsack«, murmelt er enttäuscht. In der Ecke neben dem Eingang hockt Lore Sommerfeld auf dem Boden. Im Gretchenkostüm, mit langen blonden Zöpfen. Ihr Gesicht ist blaß vor Angst. Breite Tränenspuren laufen über ihr Gesicht, mit zerlaufener Bühnenschminke vermischt.
    Und ich dachte, ich hätte mir Sonja geangelt – Jupp Doelles steht wie angenagelt in der Mitte des engen Kellers und läßt ergeben die Arme hängen. Ausgerechnet die fade Blonde – Sonja ist entwischt. Der Abend ist im Eimer.
    So sitzen sie und schauen sich stumm an.
    »Wo sind wir hier?« fragt Lore verschüchtert und sieht sich in dem engen Loch um. »Ich will in mein Zimmer.«
    »Ja, ja. Von mir aus«, sagt Doelles ungeduldig. »Wenn die Iwans nicht noch mal von vorne anfangen mit dem Geballer, bringe ich dich in zehn Minuten zurück.«
    »Wie heißen Sie eigentlich?« fragt sie ihn.
    »Jupp«, sagt Doelles. »Das heißt, eigentlich Joseph.«
    »Ein netter Name, Jupp.« Lore Sommerfeld setzt sich auf die Strohschütte, zieht die Beine an den Leib und umfaßt sie mit den Armen. »Ich heiße Lore«, sagt sie dann.
    »Lore«, spricht Doelles den Namen nach, als wolle er sich an seinen Klang gewöhnen. So wie er sich an das Mädchen gewöhnt, das eigentlich die Falsche ist.
    »Wollen Sie vielleicht einen Kuchen?« fragt er, nur um irgend etwas zu sagen. Seine
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