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Fronttheater

Fronttheater

Titel: Fronttheater
Autoren: Heinz G. Konsalik
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bei ihr.
    »Laßt mich mit ihr allein«, hat sie die anderen gebeten.
    Nun knöpft sie Lores Kostüm auf, öffnet das Fenster, schabt eine Handvoll verharschten Schnee vom Sims und reibt ihn über Lores Stirn und Brust.
    Lore stöhnt leise und zieht fröstelnd die Schultern hoch. Dann schlägt sie die Augen auf.
    »Na, geht's wieder?« lächelt Irene.
    Lore nickt. Sie greift nach Irenes Hand. »Danke!«
    »War doch selbstverständlich!«
    Lore Sommerfeld beißt sich auf die Lippen und versucht das Schluchzen zu unterdrücken, das in ihrer Kehle würgt. »Morgen werde ich wieder umfallen«, sagt sie verzweifelt. »Und übermorgen und …«
    Irene läßt sich auf den Rand des Diwans fallen. »Willst du damit sagen, du …«
    »Ja«, flüstert Lore tonlos. »Und das Schlimmste: Ich weiß nicht, wo Jupp ist – weiß nicht, ob ich ihn je wiedersehen werde – aber ein Kind braucht doch einen Vater …«
    Irene Berthold steht auf und geht im Raum ein paar Schritte hin und her. Sie sucht nach Worten, doch sie findet sie nicht.
    Lore sieht ihre Kollegin mit großen Augen an. Es sind Augen, von denen man nicht weiß, ob die Freude oder die Verzweiflung aus ihnen leuchtet.
    Endlich, nach einer qualvollen, unendlichen langen Stille, bringt Irene die leise Frage über die Lippen: »Seit wann weißt du es?« Sie zieht die dünne Decke über Lores zitternden Körper.
    »Seit einer Woche. Was soll ich nur machen?«
    »Es wird sich alles finden, Kindchen.« Irenes Hand fährt streichelnd über Lores blondes Haar.
    Lore hebt das tränenüberströmte Gesicht. »Du kennst meinen Vater nicht. Er ist Beamter. Bei ihm muß alles ordentlich und korrekt sein: gespitzte Bleistifte, die Bügelfalte, sein ganzes Leben. Versprich mir, daß du keinem Menschen etwas davon sagst!« Lore richtet sich halb auf und greift nach Irenes Hand.
    »Ja, ja, ich werde es für mich behalten. Aber irgendwann wirst du es ja doch sagen müssen.«
    »Ich kann nicht«, schluchzt Lore verzweifelt.
    Irene streichelt noch immer das verstörte Mädchen. »Du wirst sehen, es ist alles viel einfacher, als du glaubst. Du fährst nach Deutschland zurück, und wenn du willst, kannst du dein Kind ja in einer Klinik zur Welt bringen.« Sie lächelt Lore ermutigend zu. »Wenn es ein Junge ist, wird er bestimmt genauso wie dein Jupp.«
    »Ach, Jupp«, seufzt Lore verzweifelt. »Ich weiß ja nicht einmal mehr, wie er aussieht.«
    Obergefreiter Jupp Doelles schleifte einen Stapel Holz über die vereiste Steppe. Es störte ihn kaum, daß die russische Artillerie Störfeuer schoß. Keuchend zerrte er das Holz auf seinen Unterstand. Nur ab und zu, wenn ihm der Instinkt sagte, daß es in seiner Nähe einschlagen würde, warf er sich auf die Erde und wartete, bis der Regen aus Stahl- und Erdbrocken niedergegangen war. Dann keuchte er weiter.
    Beim Kompanietroß war unterdessen der Teufel los. Der Küchenbulle vermißte einen Stapel Holz.
    »Für mindestens eine Woche könnt ihr euer Dörrgemüse kalt fressen!« fluchte er.
    »Du spinnst wohl?« fuhr ihn Hauptfeldwebel Müller an.
    »Wir werden ja sehen, wer spinnt«, knurrte der Küchenbulle böse. »Mein Holz war genau eingeteilt. Ich muß es zwanzig Kilometer weit ranfahren.«
    Müller tippte sich an die Stirn. »Wer soll denn hier Holz klauen? Glaubst du etwa, daß sich einer dein Brennholz auf den Buckel schnallt und damit durchs Artilleriefeuer latscht? – Wer war denn überhaupt hier, außer den Essenholern?«
    Der Koch schüttelte den Kopf. »Keiner – das heißt außer dem Doelles.«
    »Oh!« Müller sah den Küchenbullen mit einem fast tragischen Blick an. »Das ändert die Sache natürlich. Was wollte er denn hier?«
    »Wieder mal nach Post fragen. Von dieser Lotte oder Lore oder wie das Mädchen vom Fronttheater heißt.« Der Koch zuckte mit den Schultern. »Mindestens viermal in der Woche kommt er hier angekrochen und löchert uns mit seiner verlorengegangenen Braut.«
    »Soso«, sagte Müller und dachte sich seinen Teil.
    Eine Stunde später ging Hauptfeldwebel Müller nach vorn. Blaugefroren stolperte er in Doelles' Unterstand. »Na, Müller«, kam eine Stimme aus dem Dunkel, als er auf Händen und Füßen durch den engen Einstieg kroch. »Was machen Sie denn für ein Gesicht? Ist etwa der Krieg zu Ende?«
    »Nein, Herr Oberleutnant.« Müller stand auf und klopfte automatisch den Schnee von seinem Mantel. »Ich wollte nur mal meinen Freund Doelles besuchen.«
    Seine Augen hatten sich an das Halbdunkel gewöhnt.
    In
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