Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fromme Wünsche

Fromme Wünsche

Titel: Fromme Wünsche
Autoren: Sara Paretzky
Vom Netzwerk:
anstimmte, sank meine Stimmung noch tiefer. Ich hätte nicht
herkommen sollen. Nachdem ich mich überall gründlich lächerlich gemacht hatte,
wäre es wohl besser gewesen, mich während der nächsten vier Wochen unter der
Bettdecke zu verkriechen.
    Der Tag hatte schon schlecht angefangen. Lotty hatte
sich über den Bericht im Herald-Star furchtbar
aufgeregt. In vier kurzen Absätzen wurden die Leser darüber informiert, daß
Stefan Herschel nun doch seinen Verletzungen erlegen sei. Sein Entschluß,
vorläufig bei Murray zu wohnen, hatte sie nicht gerade besänftigt. Sie hatte
auf deutsch ihrem Unmut freien Lauf gelassen. Auf Onkel Stefans Vorhaltungen,
sie mische sich in Sachen ein, die sie nichts angingen, war sie wütend zu mir
gebraust. Leider sah ich in ihr nicht - wie Onkel Stefan - das eigensinnige
kleine Mädchen. Mit ihren Anschuldigungen traf sie im übrigen genau meinen
wunden Punkt: Egoistisch nannte sie mich und so ehrgeizig, daß ich bereit sei,
Onkel Stefan zu opfern, um einen Fall zu lösen, an dem selbst das FBI und die
Finanzaufsichtsbehörde zu knabbern hätten.
    „Aber Lotty! Ich habe mich doch auch selbst in die
Schußlinie gestellt. Der Brand in meiner Wohnung -“
    Verächtlich fegte sie meine Einwände vom Tisch.
Hatte ich nicht auf meine übliche arrogante Art die Polizei im dunkeln tappen
lassen? Und jetzt sollten die Leute wohl in Tränen ausbrechen, weil ich mich
mit den Folgen herumschlagen mußte?
    Als ich Onkel Stefan vorschlug, die Sache abzublasen
und einen unauffälligen Rückzug anzutreten, nahm er mich beiseite. „Also
wirklich, Victoria! Sie sollten allmählich wissen, was Sie von Lottys
Ausbrüchen zu halten haben. Das alles nimmt Sie nur deshalb so mit, weil Sie
total erschöpft sind.“ Er tätschelte mir die Hand und bestand darauf, daß
Murray in einer Bäckerei Schokoladentorte holte. „Aber kein solches Fabrikzeug!
Gehen Sie in eine richtige Bäckerei, junger Mann. Bei Ihnen um die Ecke muß es
eine geben.“
    Murray brachte eine Haselnußtorte mit Schokofüllung
an, dazu Schlagsahne. Onkel Stefan schnitt ein großes Stück für mich ab, häufte
Schlagsahne darüber und sah mir wohlgefällig beim Essen zu. „So, Nichtchen.
Jetzt fühlen Sie sich gleich wohler, stimmt's?“
    Es stimmte nicht ganz. Irgendwie gelang es mir
nicht, das Gefühl des Entsetzens, das mich in O'Faolins Gegenwart ergriffen
hatte, nochmals wachzurufen. Ich dachte nur an Pater Carrolls Reaktion auf das
Theater, das ich in seiner Kapelle veranstalten wollte. Aber um halb vier war
ich dennoch mit Onkel Stefan in Murrays Pontiac gestiegen. Wir trafen rechtzeitig
ein und bekamen Plätze in der ersten Bankreihe hinter den Chorschranken. Ich
nahm an, daß Rosa nach ihrem buchhalterischen Einsatz am Gottesdienst
teilnehmen würde. Aus Vorsicht blickte ich mich nicht um, denn es bestand die
Gefahr, daß sie mich erkannte - selbst im Halbdunkel.
    Als die Gemeinde zur Kommunion gerufen wurde, bekam
ich Herzklopfen vor Scham, Furcht und nervöser Erwartung. Neben mir atmete
Onkel Stefan völlig ruhig. Durch das Schnitzwerk sah ich, wie die Priester sich
in einem großen Halbkreis um den Altar gruppierten. Pelly und O'Faolin standen
nebeneinander; Pelly klein und entrückt, O'Faolin hochgewachsen und
selbstbewußt. Er trug als einziger eine schwarze Soutane statt des weißen
Dominikanerhabits.
    Wir ließen die Gemeinde auf dem Weg zur Kommunion an
uns vorbeiziehen, bis Rosas militärisch gerader Rücken und ihr stahlgraues Haar
vor uns in der Schlange auftauchten. Auf mein Zeichen erhob sich Onkel Stefan;
wir schlossen uns der Prozession an. Die Schar der Gläubigen verteilte sich gleichmäßig
auf etwa ein halbes Dutzend Priester, die die Hostien austeilten. Onkel Stefan
und ich traten hinter Rosa vor den Erzbischof. Er sah den Leuten nicht ins
Gesicht. Das Ritual war ihm im Lauf der Jahre so in Fleisch und Blut übergegangen,
daß er hinter der Fassade gütiger Überlegenheit an etwas anderes denken konnte.
Rosa war auf dem Rückweg zu ihrem Platz. Als sie mich plötzlich vor sich sah,
schnappte sie so hörbar nach Luft, daß O'Faolin aufmerksam wurde. Sein bestürzter
Blick fiel zuerst auf mich, dann auf Onkel Stefan, der mich am Ärmel packte und
lauthals verkündete: „Victoria! Das ist einer von den Männern, die mich
niedergestochen haben!“
    Dem Erzbischof fiel das Ziborium aus der Hand. Seine
Augen funkelten. „Aber Sie sind doch tot!“ Cordelia Hulls Blitzlicht leuchtete
auf, und Murray hielt ihm
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher