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Fritz Neuhaus 03 - Nichtwisser

Titel: Fritz Neuhaus 03 - Nichtwisser
Autoren: Jochen Senf
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aus, diese Soldaten im Bunker? Niemand besuchte sie.
    »Hallo.« Auf die Idee, im Schrank Besuch zu empfangen, war ich nie gekommen. Ich drehte Filme. Ich wollte unsichtbar sein. Deshalb saß ich im Schrank. Es schien mir nie endgültig zu sein. Ich wartete auf mein Fortkommen. Jetzt schien es mir endgültig.
    Wohin sollte ich eine Flaschenpost senden? Wie sie befördern ins Meer? Aus dem Walinneren? Wie viel Zeit blieb mir noch? Um eine Flaschenpost in ein Geschützrohr zu schieben. Sie zu verschließen. Großkalibrig. Mit einer Haubitze. Sie mit einem lauten Knall aus dem Geschützrohr fliegen zu lassen.
    Vor wenigen Tagen noch saß ich im ›Dollinger‹ und Jean hob seine vor Meerwasser tropfenden Austernkörbe aus seinem Lieferwagen. Ich spürte ganz deutlich den frischen Geschmack von Salz und Tang auf meinen Lippen.
    Es gab keine Faust, die den Beton zertrümmerte, und keine Großmutter, die mich aus den Scherben klaubte.
    Sie hatten sich am Rand des Lichtkegels aufgestellt. Auf der Schwelle von hell und dunkel. Ich hatte sie nicht kommen gehört. Sie trugen lange Trenchcoats. Es war kühl im Bunker.
    »Marc Poulet hat es Ihnen berichtet. Wir haben das Tonband in Ihrem Hemdkragen gefunden. Sie wissen Bescheid.«
    Er blies nicht auf seine Fingernägel. Vielleicht war es eine Frage der Pietät. Wie würden sie es mit mir machen? Der Dicke tritt hinter mich, ein kurzes Knacken? Vielleicht noch ein letztes Wort?
    »Wie kam ich in dieses Gruselmärchen?«
    »Nennen Sie es Vorsehung.«
    Es gab keine Vorsehung. Mich überraschte, wie gelassen ich war. Ich bedauerte, dass ich keine Gelegenheit mehr hatte, mit mir Bekanntschaft zu machen.
    Er schnippte mit den Fingern, und der Tangotänzer und der Dicke schritten auf mich zu. Ihre langen Mäntel wehten beim Gehen. Einen Western als Abschlussfilm hatte ich mir nicht vorgestellt.
    Den Tangotänzer würde ich zur Not packen. Beide nicht. Ich wollte es versuchen.
    Es ging ganz schnell. Es knallte zwei Mal. Ganz kurz.
    Sie kippten nach vorne, als hätten sie Scharniere in den Füßen. Ich kannte das von der Kirmes. Dort wurde auf Pappkameraden geschossen, die, getroffen, einfach umklappten.
    Ich hörte keine Schritte, die wegeilten. Ich hörte gar nichts. Ich ging zu den Toten. Jeder hatte ein Loch im Rücken, da wo das Herz war.
    Kein unbekannter Retter hatte meine Flaschenpost gefunden. Der arrogante Vertreter des BND hatte seine Kollegen erschossen und sich anschließend wortlos aus dem Staub gemacht.
    Helles Licht brandete auf. Ich war in einem riesigen Stollen, dessen Enden nicht abzusehen waren. Entlang den Wänden liefen armdicke Kabel. Blank polierte Eisentüren waren mit mächtigen Bolzen verriegelt. Da war kein Durchkommen. Stahlleitern führten in die Höhe und verschwanden in Schächten.
    Ich sah die Eisenbahnschienen und hörte ein leises Summen. Ein hartes Quietschen, wenn Eisen auf Eisen schlägt. Der Stollen verlief in einer Kurve. Die Elektrolok kam um die Kurve gefahren. Sie hielt wenige Meter vor mir. Sie hatte ein offenes Cockpit. In ihm saß Lea. Ich stieg dazu. Lea war in eine Decke gehüllt. Sie schien mich nicht wahrzunehmen. Ich wusste nicht, ob sie überhaupt etwas wahrnahm.
    Die Reise dauerte lange. Wie eine Ewigkeit. Wir ruckelten im Schneckentempo durch den Stollen. Eine unbekannte Hand steuerte uns fern.
    Es gab Riesenhaie, die konnten ihren Magen nach außen stülpen. So entledigten sie sich allen Gerümpels, das sie in ihrer Gier in ihrem Magen mit der Zeit angesammelt hatten.
    Wir ratterten auf den schmalen Schienen in den Raum, wo das Fest war. Das Tor ins Freie war weit geöffnet. Wir wurden ausgestülpt. Ich rannte hinaus. Es war Nacht. Der Himmel war sternenklar. Es flimmerte und funkelte. Da oben war Leben. Ich rannte zurück und hob Lea aus der kleinen Lok. Sie war federleicht.
    Mein Engel flog vorbei. Mit einem Lamettaschweif, der raschelte. Er rauchte eine Zigarre. Ich wollte ihn schon immer mal sehen. Der musste Nerven haben wie Drahtseile und ein freundliches Gemüt.

Epilog

    Lea und ich waren früh morgens in Schlabbach angekommen. Ein Taxi hatte uns hingefahren, das ich mitten in der Nacht mühsam in Hackenberg aufgetrieben hatte.
    In Schlabbach hatten sie uns begrüßt und geherzt, als kämen wir zurück von einer Weltumsegelung in ferne Galaxien.

    Ich saß seit einer Woche wieder im ›Dollinger‹. Ich wartete. Jeden Tag. Auf die Rothaarige. Unsere Geschichte war noch nicht zu Ende.
    Torsten Meyer und Martin Degrange hatten
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