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Fritz Neuhaus 03 - Nichtwisser

Titel: Fritz Neuhaus 03 - Nichtwisser
Autoren: Jochen Senf
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Video.«
    »Unglaublich. Wie konnten Sie sich dazu hergeben?«
    Poulet war zu erschöpft, um noch Widerstand zu leisten. Ich ließ nicht locker.
    »Woher wissen Sie, dass Mlasec der Mörder von Nemec ist?«
    »Wer denn sonst?«
    »Haben Sie das Videoband zusammengebastelt, auf dem ich als Mörder von Nardini zu sehen bin?«
    »Ja.«
    »Sie sind ja richtig gut.«
    Er lächelte schwach.
    »Man tut, was man kann.«
    »Gibt es ein Druckmittel gegen Sie?«
    »Ja.«
    Er nannte mir seine Adresse. Ich klebte ihm wieder den Mund zu.
    Ich zog die Gasmaske aus und entfernte den Gartenschlauch. Ich fühlte mich entsetzlich. Der Enthusiasmus war verflogen.
    Kein Wellenreiten mehr über allen Wolken. Da schwebte nichts. Allenfalls Betty als Graugans. Sie hielt die Augen geschlossen. Sie weinte.
    Ich fuhr nach Spichern. Das ist ein Dorf in Frankreich kurz hinter der Grenze bei Saarbrücken. Auf den Spicherer Höhen tobte im Krieg 1870 eine Schlacht. Die Höhen sind von Ehrenmalen übersät. Die Spicherer Höhe ist ein berühmtes Ausflugslokal der Saarbrücker. In Spichern hatten Marc Poulet und Betty von Nettelberg ihr Zweipersonenfunkhaus.
    Es war Nachmittag, als ich vor dem Anwesen hielt. Ich befreite die beiden von ihren Fesseln. Betty war fertig mit den Nerven. Sie zitterte. Marc Poulets Beine schlackerten wie die Fangarme einer Krake bei Landgang.
    Wir betraten einen stattlichen Bungalow mit einem großen Sendemast. Wir gingen in die Sendezentrale. Sie war professionell ausgestattet. Mischpulte, E-Kameras, alles war vorhanden. Eine ganze Wand war bemalt mit einem Comic. Betty als Peitschen schwingende Domina. Sie malträtierte Poulet. Er trug einen knallbunten Latexpullover. Über ihm schwebte eine Sprechblase. Du kannst mich hauen, wie du willst, ich zahle nicht.
    Marc Poulet war kooperativ. Es ging alles sehr flott. Er war nicht nur ein Meister des Strichermilieus, er beherrschte auch alle Facetten der Kinderpornografie. Betty hatte ihn abgefilmt in allen Posen und Varianten mit sehr jungen Protagonisten. Damit hatten sie ihn unter Druck gesetzt. Für diese Sammlung bekämen Marc Poulet und Betty einige Jahre Gefängnis, wenn sie verurteilt würden.
    Ich benutzte sein Telefon und rief Corinne Valéry an. Die war in hellster Aufregung. Lea Bosic war von zwei Männern aus dem Krankenhaus gebracht worden. Sie hatten sich ausgewiesen. Näheres wusste sie nicht. Ich fragte nach der jungen Braut.
    »Sie haben ihr tatsächlich eine Niere entnommen und ihm eingesetzt. Der Arzt hat es uns völlig unbefangen erzählt. Sie liebt ihren Mann, sagte er. Seit etwa vier Wochen darf sie ihn lieben. Länger kennt sie ihn nicht.«
    »Habt ihr was von Martin und Torsten gehört?«
    »Nichts.«
    »Wir sehen uns.«
    Die Kinderpornos mit dem Hauptakteur Marc Poulet waren harmlos gegen das, was sie in ihrer Videosammlung noch zu bieten hatten.
    Wir saßen an einem Mischpult auf sehr bequemen, drehbaren Ledersesseln und sahen uns an, was im Fort Hackenberg Flüchtlingen, die ihre miese Situation zu verbessern hofften, unter der Anleitung von Martha Klein angetan wurde.
    Marc Poulet hatte eine spezielle Schnitttechnik für die Aufnahmen entwickelt. Er nannte sie serielle Mikroskopierung. Das gefilmte Rohmaterial wurde extrem verdichtet. Die Abläufe auf das Wesentliche reduziert. Alles Überflüssige, Bewegungen, Körperteile, Laute eliminiert. Erst filmte er den Delinquenten in der Totalen. Die Torturen fanden in quadratischen Räumen hinter Glasscheiben statt. Sie waren weiß gekachelt. Grelles Scheinwerfer- und Neonlicht füllten sie gleichmäßig aus. Wie mit Wasser.
    Das Licht bereits verfremdete und überzeichnete die Ärmsten. Als handelte es sich um Automaten unter einer Riesenlupe. Man sah alles bis ins kleinste Detail. Die Bewegungen, Verrenkungen, Krümmungen, Verbiegungen, aufgerissenen Münder und Augen, verkrampften Hände, Beine, Rücken der Opfer waren ungewohnt, schrill, extrem, nie gesehen. Desorientierung. Sie zuckten, fielen, taumelten. Oder sie waren einfach nur apathisch.
    Dann sezierte er. Der Delinquent wurde in Bilder zerlegt, in seine Einzelteile. Kamm, Schulter, Hüfte, Nacken, Kotelett, Filetstücke, Innereien, Bauchspeck. Wie in Schlachthöfen. Rinderhälften, die an Haken den Metzgern zur Tranchierung zugeführt wurden. Bei Marc Poulet den Kameras.
    Kälteexperimente. Zwei Frauen in einer Kältekammer. Schnitt Gesicht. Allmähliches Einfrieren der Mimik. Schnitt Wange. Einfrierungen der Wangenhaut. Zoom auf die Haut.
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