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Friss oder stirb

Friss oder stirb

Titel: Friss oder stirb
Autoren: Clemens G. Arvay
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sowie Aufnahmen von Junghennen. [ Abb. 2 ]
    Auf den ersten Blick fand Wolf-Dieter Storl die Bilder nicht überraschend. „Man kennt ja diese schrecklichen Zustände in der Massentierhaltung“. Doch dann legte ich nach. „Das sind allesamt Aufnahmen von Bio-Hennen “, erklärte ich. Das, was zu sehen war, entsprach den EU-Richtlinien für die biologische Landwirtschaft. Die gezeigten Betriebe waren sogar Mitglieder bei Bio-Verbänden, die sich im Marketing für besonders hohe Standards rühmen.
    Nachdem ich Storl verraten hatte, dass es sich um Bio-Hennen handelte, war der schamanische Biogärtner dann doch überrascht.

    Clemens G. Arvay: Was geht Dir durch den Kopf, wenn Du solche Fotos siehst und erfährst, dass es sich um biologische Tierhaltung handelt?

    Wolf-Dieter Storl: Wir bauen hier zwar unser eigenes Gemüse an, aber Eier, Milch und so weiter, das müssen wir alles im Geschäft kaufen. Wir sind einfach zu wenige hier oben, um Tiere zu halten. Und dann kaufen wir fast nur Bio-Produkte und man freut sich, dass es jetzt in beinahe allen Supermärkten Bio gibt. Aber wie diese Bio-Produktion aussieht, das weiß man gar nicht. Und dass es dort inzwischen schon fast so schlimm ist wie in der konventionellen Landwirtschaft, das erträumt man sich nicht einmal. Wenn die Unterschiede zwischen Bio und Konventionell im Wesentlichen nur mehr die Futtermittel und Betriebsmittel betreffen, dann ist das zu wenig. Tiere müssen artgerecht behandelt werden, damit sie gesund sind und sich wohlfühlen. Und das kann nicht geschehen, wenn ich sehe, dass auch Bio-Hühner im Stall zu sechs Stück pro Quadratmeter gehalten werden. Tiere haben doch eine Würde! Wenn man ihnen diese Würde abspricht, dann leidet darunter auch die Menschenwürde: Wer macht denn so etwas überhaupt?

    Clemens G. Arvay: Das ist eine gute Frage. Ich würde sagen, es sind die Supermarkt- und Diskontkonzerne, die so etwas machen oder verursachen. Denn unter ihren Vorgaben kann kaum mehr anders gewirtschaftet werden als über große Mengen und massenhafte Warenflüsse, die auf möglichst wenigen Standorten produziert und gebündelt werden. Das ist dann eben auch bei „Bio im Supermarkt“ so.

    Wolf-Dieter Storl: Es wird ja auch immer behauptet, man könne die riesigen Menschenmassen anders gar nicht mehr ernähren. Aber das stimmt nicht. Es gibt zahlreiche Studien, die ich gelesen habe und die sagen … nein, was heißt da „die sagen“? Ich weiß es ja selber aus meiner Erfahrung als Biogärtner, dass in der kleinteiligen Landwirtschaft am effizientesten gewirtschaftet wird. Es ist zwar arbeitsintensiv, aber das ist ja nicht schlimm. Ich finde es noch bedenklicher, dass Menschen herumsitzen und arbeitslos sind, nicht wissen, was sie tun sollen und womöglich zu Alkohol greifen oder den ganzen Tag vor dem Fernsehgerät verbringen, anstatt etwas zu schaffen, das ihnen selber wieder Würde gibt.

    Clemens G. Arvay: Was können wir tun? Wo krankt unser Lebensmittelsystem und wie können wir es „heilen“?

    Wolf-Dieter Storl: Es ist gut, hinzuschauen, denn dann kann man auch die Lösungen finden! Die Frage ist, wie die Lösungen aussehen können. Zentral geplante staatliche Lenkung halte ich nicht für den richtigen Weg. Die Menschen müssen selbst Verantwortung übernehmen, sie müssen vor Ort sein. Die Lösung muss lokal sein. Ich habe es auf meinen Reisen selber erlebt, zum Teil in Indien und viel früher auch in China: Die Menschen setzen sich ein, wenn es ihr Garten ist, ihr Feld oder wenn es ihre Kühe sind. Wir brauchen wieder mehr Beziehung zur Landwirtschaft und zu unseren Lebensmitteln, dann ist das nichts Abstraktes mehr.

    Schließlich war die Zeit gekommen, unser Gespräch zu beenden, doch mein Abenteuer hatte gerade erst begonnen. Es waren diese Gegensätze, von denen Storl gesprochen hatte, denen ich mich stellen musste: dem Negativen und dem Positiven – der Dualität des Lebens.
    Als ich entlang der Serpentinenstraße wieder ins Tal hinunterfuhr, lichtete sich die Nebeldecke über mir und legte die Schönheit der noch regennassen Allgäuer Berge frei. Ich würde in den nächsten Wochen den langsamen Wechsel der Landschaften miterleben, die Übergänge verschiedener Vegetationszonen in Europa. Ich würde Tausende von Kilometern zurücklegen, dabei zahlreiche motivierte und innovative Bäuerinnen und Bauern kennenlernen und neue Bekanntschaften mit Menschen schließen – Projektmitarbeiterinnen, Autoren, Wissenschaftlerinnen –,
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