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Friesenschnee

Titel: Friesenschnee
Autoren: Gmeiner-Verlag
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hastete zur anderen Seite der Bühne und verschwand wortlos hinter dem Vorhang.
    Die Direktrice wandte sich ihnen wieder zu. »Meine Liebsten, ich muss sofort hinter die Bühne. Wir sehen uns nachher noch. Einen schicken Mann hast du übrigens, Jenny. Wenn du keine weitere Verwendung mehr für ihn hast, dann kannst du ihn mir…« Ohne weiterzureden, drehte sie sich um und rauschte ab.
    In die in der Luft verbliebene Parfümwolke kommentierte Stuhr trocken: »War das schon die gesamte Vorstellung heute Abend? Was für ein Frauenzimmer!«
    Jenny sah ihn irritiert an. »Wieso Frau? Wie kommst du denn darauf?«
    Ja, wie konnte er nur darauf kommen? Gab es etwa ausschließlich Männer in ihrer Theatertruppe?
    Stuhr war nicht undankbar, dass ihn Jenny jetzt an die Bar bugsierte und zwei Prosecci bestellte. Dennoch musste er sehnsüchtig an sein geliebtes Vereinsheim denken, in dem die Jungs jetzt sicherlich Fußball lebten und ihren Vitaminmangel mit diesem fabelhaften Weizenbier bekämpften. Man kann nicht alles haben, tröstete sich Stuhr.
     
    Bevor sie sich stilvoll zuprosten konnten, gesellte sich ein eleganter Herr zu ihnen, der offensichtlich ohne Begleitung war. Er erhob kurz sein Weinglas und stellte sich vor. »Gestatten, Rechtsanwalt Trutz. Frau Stuhr, Sie entschuldigen bitte. Ich würde Ihren Mann gerne kurz einmal allein sprechen. Es geht auch schnell.«
    Jenny schien nicht unerfreut zu sein, mit seinem Nachnamen angesprochen zu werden. Sie küsste Stuhr zum kurzen Abschied auf die Wange, grüßte freundlich und begab sich strahlend zu einem der Plätze in der ersten Reihe. Mehrere andere der anwesenden Gäste nahmen das ebenfalls zum Anlass, ihre Plätze einzunehmen.
    In die erste Reihe setzte sich Stuhr ansonsten nie, weil gerade bei Gastspielen auf kleinen Bühnen immer akute Gefahr bestand, von den Schauspielern zum Vergnügen der anderen Anwesenden aktiv in das Spielgeschehen einbezogen zu werden. Heute würde er eine Ausnahme machen müssen.
     
    Der Rechtsanwalt machte es kurz. »Ich kenne Sie schon länger vom Sehen, Herr Stuhr. Bei Ihrer Größe und Ihrer Statur sind Sie keine unauffällige Person, wenn Sie braungebrannt auf Ihrem Fahrrad die Holtenauer Straße hinunter radeln. Ich suche seit geraumer Zeit im Auftrag einer Klientin von mir Ihren Kontakt. Sie stehen nicht im Telefonbuch, und im Netz gibt es lediglich einen veralteten Geschäftsverteilungsplan der Staatskanzlei, der Sie als Referatsleiter ausweist. Es ist hier jedoch nicht der richtige Platz und die richtige Zeit, über den Anlass zu reden. Können Sie mich nicht einfach Anfang nächster Woche in meiner Kanzlei am Dreiecksplatz aufsuchen? Es wird sich für uns beide lohnen, glauben Sie mir.«
    Neugierig betrachtete Stuhr die Visitenkarte, die ihm der Advokat jetzt überreichte: Dr. Reinhold Trutz, Dreiecksplatz 1. Reinhold, das war ein altmodischer und eher unpassender Vorname für diesen smarten Rechtsverdreher. Mehr konnte er nicht lesen, denn nun erlosch das Licht. Offensichtlich sollte die Vorstellung beginnen, und das Publikum begann erwartungsvoll zu klatschen.
    Stuhr verabschiedete sich und tastete sich in die vordere Sitzreihe zu Jenny, die für ihn den Platz neben sich freigehalten hatte. Sofort hakte sie sich bei ihm ein. Sie schien mit der Welt überaus zufrieden zu sein. »Hast du gehört, Helge? Frau Stuhr hat er gesagt. Kannst du dir das vorstellen?«
    Ja, vorstellen konnte sich Stuhr mit Jenny alles, aber Hast war ein schlechter Ratgeber in solchen Dingen, das hatte er in den letzten Jahren mehrfach bitter erfahren. Er schob die Frage zu Jenny zurück. »Beim letzten Mal hast du noch darauf bestanden, dass ich Helge Muschelfang heißen soll«, konterte er.
    Jenny gluckste vor Vergnügen und küsste ihn hitzig.
    Das fand Stuhr prickelnd, zumal es nun stockfinster in dem alten Bau war. Es wühlte dieses wunderbare alte Gefühl von Heimlichkeiten in ihm auf.
    Jenny blieb sich treu, als sie ihm ihre Erwartung ins Ohr flüsterte. »Einverstanden. Helge und Jenny Stuhr, mit Ringen. Liebst du mich?«
    Ja, mit Jenny alles und für ewig. Stuhr nickte sofort mehrfach im Dunkeln. Wieder suchte er ihren Mund, um sein Bekenntnis für immer auf ihre Lippen einzubrennen. Als er sie ertastet hatte, leiteten unerwartet die Scheinwerfer das Schauspiel ein.
    Sofort raunzte ihn eine tiefe Stimme von hinten an. »Sind Sie hier zum Knutschen oder wollen Sie das Schauspiel genießen?«
     
    Ohne zu antworten, ließ Stuhr Jenny los und setzte
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