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Friesenrache

Friesenrache

Titel: Friesenrache
Autoren: authors_sort
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angerufen, da er genau wusste, dass Kalli nicht da sein würde. Dienstagabends war Stammtisch in der Gastwirtschaft im Dorf, und den ließ der Landwirt so gut wie nie ausfallen.
      Ein paar Tage zuvor war er bei ihr gewesen, hatte noch einmal versucht, sie dazu zu bewegen, Kalli zu verlassen. Im Gegensatz zu den anderen Malen war Sophie an diesem Tag aus ihm unerklärlichen Gründen zugänglicher für seine Vorschläge gewesen, hatte zugehört und hin und wieder zustimmend genickt. Vielleicht war sie aber auch nur müde gewesen, denn als es darum gegangen war, konkrete Pläne zu schmieden, war sie erneut ausgewichen. »Ich würde so gern mit dir gehen, glaub mir, ich weiß, dass du es nur gut meinst«, hatte sie leise geantwortet und dabei mit ihren blassen schmalen Händen sanft sein Gesicht berührt. »Aber ich kann nicht. Ich kann einfach nicht.«
      Er hatte es nicht verstanden. Sie gab doch zu, dass sie gerne mit ihm gehen würde. Warum tat sie es dann nicht? Was hielt Sophie bei diesem widerlichen Kerl? Sein Anruf war ein erneuter Versuch, sie umzustimmen.
      Doch statt wie erwartet die Stimme der Geliebten am anderen Ende der Leitung zu vernehmen, hatte Ulf das Telefonat entgegengenommen. »Mein Vater ist nicht da.« Er war der Ansicht, Martin Münsterthaler würde wegen der Erbangelegenheiten anrufen.
      »Und deine Mutter?«
      Die schliefe bereits. Ulf Carstensens Stimme hatte etwas irritiert geklungen. Sicherlich war er verwundert, warum der befreundete Rechtsanwalt sich nach seiner Mutter erkundigte. Schließlich ging es um das Erbteil seines Vaters. Dennoch hatte er wohl ob der frühen Uhrzeit erklärend hinzugefügt, dass Sophie Carstensen am Tag zuvor mit dem Fahrrad gestürzt sei und sich deshalb zeitig hingelegt habe.
      ›Da stimmt doch was nicht! Der lügt doch!‹
      An der Art und Weise, wie Ulf von dem Unfall der Mutter berichtet hatte, war Martin Münsterthaler ohne jeden Zweifel klar gewesen, wer für Sophies Verletzungen verantwortlich war. Eine unbändige Wut war in ihm aufgestiegen, die ihn wie einen Tiger im Käfig in seinem Wohnzimmer auf und ab hatte wandern lassen. Er musste endlich etwas tun, konnte nicht weiter tatenlos zusehen, wie dieser elende Schuft sie zugrunde richtete.
      Der Hund schlug plötzlich lautstark an. In einiger Entfernung näherte sich ein anderer Spaziergänger mit einem Golden Retriever, den Sheyla als einen Eindringling in ihr angestammtes Territorium betrachtete. Martin Münsterthaler wurde abrupt aus seiner Gedankenwelt gerissen und zog geistesgegenwärtig an der Leine, um den Hund unter Kontrolle zu halten. Doch der entgegenkommende Hundebesitzer drehte angesichts der vermeintlich anstehenden Konfrontation ab und war schon bald aus Sheylas und seinem Blickfeld verschwunden. Die schwarze Labradorhündin beruhigte sich, und Martin Münsterthaler wurde wieder von seinen Erinnerungen eingeholt.
      Wie in einem Film sah er sich die ›Glock19‹, die er sich bereits vor geraumer Zeit zugelegt hatte, aus einem der Schublädchen des antiken Sekretärs hervorholen. Kalt lag das Eisen in seiner Hand, bedrohlich zielte die Dunkelheit aus der Mündung des finsteren Pistolenlaufs auf ihn.
      Schnell steckte er die Waffe in seine Tasche, griff nach den Autoschlüsseln auf der Kommode im Flur und eilte hinaus zu seinem Wagen. Mit zitternden Händen startete er den Motor und fuhr los. Er wusste ja, wo er Kalli Carstensen finden konnte.
      Kurz vor Mitternacht erreichte er Risum-Lindholm. Mit über 100 Sachen raste er die Dorfstraße entlang. Gleich hinter dem SPAR-Laden sah er zwei der Stammtischbrüder auf dem Gehweg nach Hause torkeln. Die Runde hatte sich anscheinend vor wenigen Minuten aufgelöst. Er musste sich beeilen, wenn er Kalli auf dem Heimweg abfangen wollte.
      Doch er hatte kaum die Dorfstraße verlassen, da sah er die stämmige Gestalt bereits auf dem Fahrradweg, der die Straße in den Herrenkoog hinaus säumte, mit leicht unkoordinierten Schritten heimwärts wanken. Wie gewöhnlich trug Kalli Carstensen einen hellen Parka und seine dunkelblaue Kapitänsmütze. Hastig tastete er nach der Pistole in seiner Tasche.
      Es trieb ihm wieder den Schweiß auf die Stirn, als er sich erinnerte, wie ihm in jener Nacht bewusst wurde, dass er sich keinerlei Gedanken darüber gemacht hatte, wie er den Landwirt töten wollte. Sollte er das Fenster der Beifahrerseite herunterlassen und im Vorbeifahren auf Kalli schießen, oder war es vielleicht
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