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Friesengold (German Edition)

Friesengold (German Edition)

Titel: Friesengold (German Edition)
Autoren: Bernd Flessner
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er die erste Münze von Onken hatte kopieren lassen, hatte er den ersten Pflasterstein gesetzt für den Weg in den Abgrund, vor dem er jetzt stand. Sein Gesicht, das Greven inzwischen als fast entstellt empfand, erzählte diese Geschichte, reflektierte den Strudel, in den er geraten war, den er selbst in Bewegung gesetzt hatte. Die Kontrolle hatte er längst verloren, hatte er Münze für Münze und Fibel für Fibel eingebüßt, bis das Gold ihn kontrollierte. Sein Blick war auf einen fernen Horizont gerichtet, auf eine utopische Insel, die er noch zu erreichen hoffte.
    »Her mit dem Schlüssel!«
    Diesmal tauchte die Mündung neben seinem Auge auf.
    »Ich habe ihn nicht. Sie haben doch meine Taschen durchsucht.«
    »Wo ist er? Los!«
    Der Graf senkte den Lauf und hielt ihn nun direkt an sein gesundes Knie.
    »Wollen Sie als Krüppel sterben?«
    »Der Schlüssel ist im Foyer«, sagte Greven und zwang sich zur Ruhe. Es war nicht seine erste Begegnung mit dem Tod, er konnte gleich auf mehrere Erfahrungen zurückgreifen, um nicht zu ersticken oder aufzugeben.
    »Gehen Sie da an die Wand«, befahl der Graf.
    Annalinde schrie auf.
    »Der Schlüssel ist nicht in der Jacke«, widersetzte sich Greven. »Er ist auch nicht im Mantel. Als ich die Situation erfasste, habe ich ihn auf den Boden fallen und verschwinden lassen.«
    Folef von und zu Aldenhausen rang mit dem Tod, allerdings mit dem Grevens. Er verlagerte sein Gewicht von einem Bein aufs andere und knetete mit seinen Lippen. Schließlich gab er Annalinde einen Schubs und griff hinter den Gartenschlauch. Lautlos glitt die Tür zu. Mit der linken Hand griff der Graf nach einem der Gartenstühle und schob ihn mit der Lehne unter den unsichtbaren Hebel.
    »Also ins Foyer, aber schnell!«
    Mit dem Gewehr im Anschlag trieb er Annalinde und Greven vor sich her.
    »Schneller! Ein letztes Mal: Her mit dem Schlüssel! Los!«
    Greven begab sich humpelnd und gebückt auf die Suche, während ihn der Graf nicht aus den Augen ließ. Annalinde stand neben ihm und weinte unablässig. Als sich Greven bis zum Stuhl vorgearbeitet hatte, auf dem Mantel und Jacke lagen, nahm er den Blumenstrauß in die rechte Hand und hob ihn hoch. Dann richtete er seine linke Hand auf die Kommode, die gegenüber an der Wand stand: »Da liegen sie!«
    Der Graf folgte mit dem Blick der ausgestreckten Hand. Es war nur für eine Sekunde, dann nahm er wieder Greven ins Visier. Gedämpft durch die Blumen ähnelte der Knall eher einem dumpfen Schlag mit einer Zaunlatte. Das Papier flog auseinander und ließ Blütenblätter und Stängel folgen. Der ganze Strauß löste sich auf, bröselte zu Boden und gab Grevens rechte Hand frei, die seine Dienstwaffe umklammerte.
    Die Kugel hatte den linken Unterarm des Grafen durchschlagen und dann den Kolben des Gewehrs getroffen und das Holz zersplittert. Mit einem scheppernden Geräusch fiel es auf die Fliesen, während der Graf einen lang gezogenen Schrei ausstieß. Auch seine rechte Hand, die den Griff der Büchse gehalten hatte, war verletzt.
    »Annalinde, befrei deine Mutter!«, befahl jetzt Greven und ging die wenigen Schritte zur Tür, um sie langsam zu öffnen. Mit dem vereinbarten Handzeichen signalisierte er den Einsatzkräften das Ende ihres gerade erst begonnen Einsatzes. Hinter den Autos und den Bäumen erhoben sich vermummte Gestalten. Häring kam hinter einer dickleibigen Kastanie zum Vorschein.
    Auf dem kalten Boden kniete wimmernd Folef von und zu Aldenhausen und verschmierte sein Blut auf den Fliesen. Aus dem Dunkel des Flurs neben der Treppe kam Sophie auf Greven zugestürmt, gefolgt von Annalinde, bremste nicht ab, sondern krachte in seine Arme, heulend und lachend zugleich.

 
     
     
     
    31
     
    Diesmal erkannte Greven den Musiker auf Anhieb. Kenny Burrell. Auch beim Stück lag er richtig: Midnight Blue . Aufgenommen 1967. Stanley Turrentine am Tenorsaxofon. Eine traumhafte Aufnahme. Der Gitarrist spielte noch ohne die ausufernden sportiven Ambitionen späterer Saitenmagier.
    »Trifft das deinen Geschmack?«
    »Unbedingt«, antwortete Greven und lächelte Sophie von Reeten an. Neben ihr saß Mona, vertieft in ein Gespräch mit Annalinde. Der Tisch war perfekt eingedeckt, in den Gläsern wartete ein Riesling auf einen Krabbensalat aus Nordseekrabben, Sellerie, Apfel und einer leichten Creme.
    Die Gesichter von Annalinde und Sophie waren fast wieder in ihren Urzustand zurückgekehrt. Wer genau hinsah, stieß jedoch noch immer auf die Spuren, die der Graf
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