Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Friedrich Nietzsche: Wanderer und freier Geist (German Edition)

Friedrich Nietzsche: Wanderer und freier Geist (German Edition)

Titel: Friedrich Nietzsche: Wanderer und freier Geist (German Edition)
Autoren: Sabine Appel
Vom Netzwerk:
befremdet wieder ab. Dann breitet sich in ihm eine Stille aus, in die ihm niemand mehr folgen kann.
    Der Wanderer
    ‹Kein Pfad mehr! Abgrund rings und Totenstille!› –
So wolltest du’s! Vom Pfade wich dein Wille!
Nun, Wandrer, gilt’s! Nun blicke kalt und klar!
Verloren bist du, glaubst du – an Gefahr.
    «Nietzsche liebte die Gefahr. Er scheute vor keiner Tiefe zurück. Er war bereit, sein Leben für seine Ideen einzusetzen» , sagt eine Denkerin, letzte Weggefährtin, die ihn dort aufsuchte, wo keine Pfade mehr waren.
    «6000 Fuß über den menschlichen Dingen.» Abgrund und Totenstille. Der Wanderer schaffte den Abstieg nicht mehr.

Röcken, Naumburg und Schulpforta,
1844–1864
    Feuersbrünste und Christus

 
    D er kleine Pastor» wurde er als Kind von seinen Altersgenossen genannt, weil er so fromm war, so würdevoll, gravitätisch und etwas altklug, der Pastorensohn Friedrich Wilhelm Nietzsche, nach Friedrich Wilhelm IV. von Preußen benannt, da er am Königsgeburtstag, dem 15. Oktober 1844 zur Welt kam. Er war der Sohn eines Pastors, Enkel eines Pastors, Neffe, Großneffe und Urenkel von Pastoren über lange Verzweigungen und Generationen hinweg; es wimmelte nur so von protestantischer Frömmigkeit in dieser Familie. Viele Geistesgrößen sind bekanntlich in Deutschland aus diesem Klima hervorgegangen. Da war die Nähe zur Büchergelehrsamkeit und zur Versenkung, eine Innerlichkeit, die sich zur reinen Geistigkeit, zur Erkenntnislust auswachsen konnte, jenseits der Sphäre von Religion. Wurde ein solches Klima auch noch von pietistischen Strömungen unterwandert, dann konnte dies reichlich ungesunde Ergebnisse zeitigen, wenigstens in extremen Erscheinungen. Karl Philipp Moritz hat uns das hundert Jahre vor Nietzsche in seinem psychologischen Roman «Anton Reiser» eindrücklich geschildert, etwa – am Rande des leidvollen Lebensweges seines autobiographischen Autors – die Wirkungen der Lehren der Madame Guion auf einen (gleichfalls real existierenden) Herrn von Fleischbein, der über seine Verzückung beim Rezipieren der Lehre die Welt gänzlich vergaß. Auf ein «völliges Ausgehen aus sich selbst und Eingehen in ein seliges Nichts» lief es hinaus, Ertötung von Individualität, Eigenliebe und aller Begierden, eine «völlig uninteressierte Liebe zu Gott» . Madame Guion selbst wurde ob ihrer Lehren in die Bastille gesetzt, wo sie nach zehnjähriger Gefangenschaft starb. «Als man nach ihrem Tode ihren Kopf öffnete, fand man ihr Gehirn fast wie ausgetrocknet» , so der Romanautor Karl Philipp Moritz.
    Karl Ludwig Nietzsche, Pastor in Röcken bei Leipzig, war kein Pietist, aber ein frommer Mann. Er war außerdem königstreu. Friedrich Wilhelm, der allergnädigste Herr, hatte ihm die Pfarre in Röcken gegeben und seine bescheidene Existenz möglich gemacht. Demut vor Gott, dem Herrn, vor dem Landesvater und am Ende dem Hausvater, das war die Reihenfolge, und so musste es sein. Doch als Karl Ludwig Nietzsche sein erstgeborenes Söhnlein zur Taufe hob, entfaltete er in seiner Rede zu diesem Anlass ein Pathos, dass man den Eindruck gewinnt, es handele sich um ein Königsund Gotteskind, das da am Königsgeburtstag geboren war, nicht um den Sohn eines einfachen Landgeistlichen. Nietzsches Selbstgefühl, sein Bewusstsein von aristokratischer Auserwählung, hat viel mit diesen überlieferten Anfängen zu tun. «Oh seliger Augenblick», so der Vater, «oh köstliche Feier, oh unaussprechlich heiliges Werk, sei mir gesegnet im Namen des Herrn! – Mit tiefbewegtem Herzen spreche ich es aus: So bringt mir denn mein liebes Kind, daß ich es dem Herrn weihe. Mein Sohn, Friedrich Wilhelm, so sollst Du genennet werden auf Erden, zur Erinnerung an meinen königlichen Wohltäter, an dessen Geburtstag Du geboren wurdest.» Der Vater war musikalisch und schwärmerisch, aber offenbar auch mental schwer belastet, besonders in seinen letzten Lebensjahren vor seinem mysteriös frühen Tod. Er war schwermütig, sprach stundenlang oft kein Wort und brach auch bei nicht gar so erschütternden Anlässen in Tränen aus. Als sein verehrter König, den die Geschichtsschreibung den «Romantiker auf dem Thron» nannte, sich im Zuge der Märzrevolution, wie man es empfand, demütigte, indem er mit einer schwarz-rot-goldenen Schärpe, den Farben der Aufständischen, durch Berlin ritt, brach für Pastor Nietzsche in Röcken eine Welt zusammen. Im Juli 1849, drei Monate vor Friedrichs fünftem Geburtstag, starb er mit nur
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher