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Friedrich Nietzsche: Wanderer und freier Geist (German Edition)

Friedrich Nietzsche: Wanderer und freier Geist (German Edition)

Titel: Friedrich Nietzsche: Wanderer und freier Geist (German Edition)
Autoren: Sabine Appel
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als der vornehme Herr Nietzsche, der auf dem Klavier improvisierte und sogar einige Jahre lang Erzieher der Altenburger Prinzessinnen war, um sie warb. Eine Photographie dieser blutjungen Ehefrau zeigt sie als ausnehmend hübsch. Sie wurde «Fränzchen» genannt und war ganz munter und unbeschwert aufgewachsen in dem Pastorenhaushalt im sächsischen Pobles. Es war üblich, solche unverdorbenen Landpflanzen verschrobenen Herren zur Ehe zu geben, die doppelt so alt waren wie sie. Sie kümmerte sich um den Garten, der zur Pfarre gehörte, und ein Jahr nach der Hochzeit kam ja auch schon das Söhnlein zur Welt. Mit zweiundzwanzig Jahren war sie dann Witwe. Auch sie, Fränzchen Nietzsche, hat diesem Knaben immer wieder die Botschaft gegeben, dass sie Besonderes von ihm erwarte, dass er nur den höchsten Anforderungen genüge. Fünfundvierzig Jahre später steht sie mit dem inzwischen geistig umnachteten Sohn, den sie aus dem Basler Spital abgeholt hat, um ihn schließlich wieder in Pflege zu nehmen, gemeinsam zu einem Photo Modell. Thomas Mann hat diese Rückkehr zur Mutter in seinem «Doktor Faustus»-Roman sinnfällig gemacht. Es ist ein leiser Triumph mütterlicher Macht. Diese Mutter hatte es nie mit einer weiblichen Rivalin zu tun.

    Nietzsches Mutter Franziska im Alter von etwa 25 Jahren.
    Der fünfjährige Friedrich hatte nicht nur seinen Vater verloren, sondern musste nun auch noch aus der ländlichen Umgebung von Röcken in eine dunkle Naumburger Stadtwohnung ziehen. Anfangs besuchte er die Bürgerschule in Naumburg, wo er ebenfalls unglücklich war. Er fand keine Freunde dort, «der kleine Pastor» war überangepasst, aber fremd. Von kindlicher Spontaneität fehlte offenbar jede Spur. Die unsägliche Schwester hat die Anekdote überliefert, die aber glaubhaft ist, weil sie ins Bild passt: Bei Platzregen lief er gemessenen Schrittes nach Hause, die Schiefertafel auf dem Kopf und darüber ein Taschentuch, während die anderen Kinder davonstürmten. Zu Hause angekommen, natürlich durchnässt, und gefragt, warum er das tat, antwortete er, in der Schulordnung stehe, die Knaben hätten die Schule ruhig und gesittet zu verlassen. Später kam er in ein privates Institut, das der Vorbereitung auf das Domgymnasium diente und von einem Theologen geleitet wurde. Mit der Gotteslehre war es dem kleinen Nietzsche sehr ernst. Er kannte alle Gebete und Bibelsprüche, die man ihm beigebracht hatte, und er zitierte sie inbrünstig. Hinzu kam der gewaltige Eindruck, den die Musik auf ihn machte, und da die Musik, die er in diesem Alter in Naumburg erlebte, auch noch weitgehend der Gottesverherrlichung diente, war sie ihm gleichsam eine göttliche Macht. Als er das «Hallelujah» aus Händels «Messias» hörte, vernahm der kleine Friedrich Nietzsche einen Engelschoral. Dass er nichts anderes werden konnte als Pastor, war in der Familie wohl eine selbstverständliche Tatsache. Im Privatinstitut fand er auch endlich Freunde, die dem Bekanntenkreis seiner Großmutter entstammten und später mit ihm aufs Naumburger Gymnasium wechselten: die Juristensöhne Wilhelm Pinder und Gustav Krug, mit denen er so etwas wie einen frühreifen Musenkreis gründete. Drei kindliche Musensöhne, die nicht eben zu kindlicher Spielerei aufgelegt schienen, befassten sich mit Dichtkunst, Musik, Versmaßen und Komposition. Die Väter der beiden Freunde waren für den vaterlosen Nietzsche dankbar angenommene Mentoren in diesen Sphären. Krugs Vater verkehrte mit berühmten Musikern seiner Zeit und komponierte auch selbst, während Pinders Vater ihm unter anderem Goethe nahebrachte. Trotz dieser anregenden Freundschaften blieb in Nietzsche ein Hang zur Einsamkeit. Ums zehnte Lebensjahr fing er an, zu dichten und zu komponieren: Motetten, Naturlyrik. Mit vierzehn schrieb er dann seine erste Autobiographie, in der er unter anderem seine lyrischen Naturszenen vor vier Jahren aus quasierwachsenem Abstand mit gönnerhaft-altklugen Kommentaren versah: «Wird doch jedes jugendliche Herz von großartigen Bildern angeregt, wünscht doch jedes diese Worte am liebsten in Verse zu bringen! Grauenhafte Seeabenteuer, Gewitter mit Feuer waren der erste Stoff …» Er blieb dieser Bild- und Gefühlswelt noch lange verhaftet. Es haben sich lediglich die Formate geändert.
    Stürme, Feuersbrünste, Blitz, Donner und Hagel mobilisierten seine Phantasie noch mehr als die «Engelschöre» im Naumburger Dom. Hier war reine Naturgewalt, eine herrliche Gegenwelt zu all der
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