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Friedliche Zeiten - Erzählung

Friedliche Zeiten - Erzählung

Titel: Friedliche Zeiten - Erzählung
Autoren: Rotbuch-Verlag
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darin, ich begriff, daß andere Kinder auch Probleme mit der geregelten Verdauung und dem Klo zu Hause hatten, ich mochte da nicht hinein, aber wer sich nicht hineintraute, spielte nicht mit. Die Mutter hatte uns strengstens verboten, in den Bunker zu gehen, weil sie beim Friseur manchmal in Illustrierten blätterte. Zwar glaubte sie den Illustrierten kein Wort, weil es Hausfrauenzeitschriften waren, die nichts als Räuberpistolen erzählten und die Leute für dumm verkaufen wollten, deshalb blätterte sie auch nur darin herum, aber beim Blättern war sie eines Tages auf Fotos gestoßen, wie Kinder beim Spielen auf Minen treten oder von Blindgänger-Bomben in die Luft gejagt werden, auf den Fotos waren die Kraterlöcher auf Schulhöfen und sonstwo zu sehen, wo eben etwas aus dem Krieg hochgegangen war, und manchmal war noch das Blut auf den Fotos zu sehen gewesen, die Mutter sagte: Ich hätte keine ruhige Minute mehr, wenn ich nur daran denke, daß euch das zustoßen könnte, dabei ist das ganze Land noch aus dem Krieg unterirdisch kreuz und quer vermint und voller Munitionslager, besonders unser Stadtwald auch, weil er wegen des Flughafens natürlich kriegswichtig war. Keinen Fuß setzt ihr mir in den Stadtwald, sagte die Mutter, hört ihr, ihr tut mir das nicht an. Ist ja schon gut, Mama, sagte dann eine von uns, und wir versuchten, uns dabei nicht anzusehen, weil die Mutter sonst mißtrauisch wurde, und dann müßten wir es ihr versprechen, und wenn wir es versprechen müßten, würden wir versuchen müssen, mit rechts zu schwören und mit der linken Hand hinter dem Rücken das Ungültigkeitszeichen zu machen, den Mittelfinger über den Zeigefinger gebogen, und das konnte schiefgehen, weil die Mutter dann sagen würde, zeigt mal schön eure linken Hände. Also müßten wir einen Meineid schwören; sie würde bei Gelegenheit von irgendeiner Nachbarin hören, daß wir ihr das doch angetan hatten, und schon war ihr Leben unseretwegen wieder kürzer geworden, sogar viel kürzer, weil wir nicht nur im Bunker und Wald von Bomben zerfetzt würden, sondern obendrein als Lügnerinnen begraben werden müßten, und wir stellten uns vor, daß Lügen ihre Lebenszeit um mindestens ein Jahr verkürzen würden, bei schlimmen Lügen wurde es lebensgefährlich, weil die Mutter davon sofort auf der Stelle krank wurde, und Wasa und ich fingen dann an, uns zu streiten, obwohl wir uns eigentlich nie streiten wollten, weil wir ihr keine Sorgen machen und für uns unzertrennlich sein wollten, aber wenn die Mutter krank wurde, weil wir gelogen hatten, stritten wir uns doch, wer mehr schuld daran war, ich sagte, du bist schuld, weil du die Ältere bist, aber weil Wasa eben die Ältere war, war sie meistens auch besser darin, mir die Schuld in die Schuhe zu schieben, und es waren schreckliche Tage: Die Mutter lag sterbend im kalten Schlafzimmer, und Wasa und ich stritten uns, wer daran schuld war, wir flüsterten vor schlechtem Gewissen und um sie beim Sterben nicht womöglich noch zu stören, und dann fiele ihr am Ende noch ein, daß sie unseretwegen starb.
    Bevor ich zum erstenmal in den Bunker ging, sagte ich zu Wasa, glaubst du, wir dürfen das, um sie daran zu erinnern, daß wir es natürlich nicht durften, weil wir nicht von SS -Bomben zerfetzt werden sollten. Aber Wasa wollte jetzt nicht darüber nachdenken, sondern eine Mutprobe bestehen und in den Bunker hinein, um den großen Jungen zu beweisen, daß Mädchen auch Mut haben können. Also sagte sie, wir sagens nicht, außerdem ist es schließlich nicht unsere Schuld, daß die Nazis hier kreuz und quer alles vermint haben. Ich dachte nicht so sehr an die Nazis, mir wäre es egal gewesen, ob die Nazis oder sonstwer daran schuld gewesen wäre, daß wir von Minen zerfetzt werden, ich wollte lieber gar nicht zerfetzt werden; ein Angsthase wollte ich natürlich auch nicht sein, und schließlich sagte ich mir: Wenn es in diesem Bunker so stinkt, dann ist er bestimmt nie ein SS -Bunker gewesen, dann ist er vielleicht nichts weiter als ein öffentliches Klo für die Kinder der Siedlung, und da schien es mir wenig wahrscheinlich, daß uns die Nazis zwanzig Jahre nach ihrem Weltkrieg noch mitsamt diesem SS -Bunker in die Luft jagen würden.
    Der Krieg war aber weiter unheimlich, auch wenn wir schließlich niemals auf eine Mine traten. Alle sprachen immerzu davon, aber auf eine Art, daß man es nicht verstehen konnte. Er war so etwas wie ein unheimliches Gerücht. Manchmal erzählte die Mutter
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