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Friedliche Zeiten - Erzählung

Friedliche Zeiten - Erzählung

Titel: Friedliche Zeiten - Erzählung
Autoren: Rotbuch-Verlag
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vom Krieg, aber wir kriegten nichts Genaues raus, außer daß er furchtbar gewesen war, sie eine Menge Freunde und einen Verlobten im Krieg verloren hatte und hinterher alle hungern mußten, weil es nur Rübensirup zu essen gab; und daß wir aufessen sollten, anstatt uns über die Fäden in der Grünebohnensuppe zu beschweren, damit sie nicht wieder an den Hunger und ihren toten Verlobten erinnert würde und davon traurig werden müßte. Wenn die Mutter das erzählte, sagte sie immer zum Schluß, nein, Kinder, glaubt mir, das Leben ist nicht schön.
    Der Vater erzählte, daß die Russen gleich nach Kriegsende als erste Amtshandlung ausgerechnet den Knoll erschossen hatten, den einzigen Kommunisten, den es in diesem ganzen gottverlassenen Ort noch gab, stellt euch vor, sagte er, diese Idioten rücken an, gehen ins erstbeste Haus, greifen sich einen, den wollen sie gleich erschießen, damit klar ist, woher jetzt der Wind bläst, und erwischen den einzigen Kommunisten am Ort.
    Solche Geschichten ungefähr erzählten die anderen Kinder auch, obwohl in den meisten ihrer Geschichten weniger Russen und dafür mehr Amis vorkamen, die zwar keine Kommunisten erschossen hatten, aber trotzdem auch Idioten waren, weil sie allen Nazis und den Nazikindern Kaugummis schenkten. Manche Kinder, besonders die älteren, erst recht wenn sie noch ältere Geschwister hatten, taten, als wüßten sie mehr vom Krieg, und sprachen sehr nebenbei und angeberisch von Stukas und anderen Militär-Abkürzungen und Geheimwörtern. Ich hatte das Gefühl, wer die meisten Abkürzungen und Geheimwörter kannte, wurde der Anführer in der Siedlung, und einen Anführer durfte man schon gar nicht fragen, was ein Geheimwort heißt, Anführer wird man durch unverratbares Geheimwissen. Damit die Mutter wenigstens ein paar ruhige Minuten am Tag oder in der Nacht hatte, erzählten wir ihr also nichts von unserem Bunker, ich hielt mir die Nase zu, wenn ich reinging, aber ich traute mich immerhin rein. Unheimlich blieb es, und da man nicht fragen durfte, wurde es immer noch unheimlicher, aber zum Glück hatte ich Wasa, und Wasa hielt sich die Nase nicht zu, wenn sie in den Bunker ging, und später hörten wir damit auf, und dann wurde er abgerissen, weil neue Häuser gebaut wurden. Das war die schönste Zeit, Wasa und ich stiegen oft über die Brettergerüste auf die Balkons und kamen von da in die Rohbauten rein, und da spielten wir, wir wären groß und in den Wohnungen zu Hause, und alle Zimmer hätten Schlüssel, wer zum andern ins Zimmer wollte, klopfte höflich vorher an und wartete, bis der andere rief, herein; nur die Treppenhaustür bliebe ohne Sicherheitskette, und weil es Sommer war, fror sich niemand den Hintern ab, es war beinah, als wenn die Eltern sich scheiden ließen, weil es bei uns natürlich alle Tage Brathähnchen und Limonade gab, aber schließlich zogen Leute in die Wohnungen ein. Und sie ließen und ließen sich einfach nicht scheiden.
    Manchmal wollte ein Kriegsverzehrter auch lieber Geld oder eine gute Gabe statt Butterbrot und ein Glas Milch, und ich konnte ihn gut verstehen, weil es alle im Haus so machten wie unsere Mutter, und im Nebenhaus auch, wahrscheinlich machten sie es im ganzen Land so, und wenn ein Kriegsverzehrter bei uns im dritten Stock ankam, hatte er also allein in unserem Haus schon fünf Butterbrote und fünf Gläser Milch hinter sich und verzehrt, und mir wäre das auch zu viel gewesen, ich glaube, selbst wenn ich die Hungerjahre erlebt hätte, mir war schon ein einziger Teller Grünebohnensuppe zu viel; und dann dachte die Mutter einen Moment nach und versuchte, dem Mann als gute Gabe einen abgelegten Pullover oder sonst etwas Warmes für den Winter zu schenken, sie schickte Wasa oder mich ins Schlafzimmer, denn ins Schlafzimmer durfte keiner hinein, und die Mutter wiederum traute sich nicht ins Schlafzimmer, solange ein fremder Mann in der Wohnung war, der, während sie ins Schlafzimmer ging, mit den Mädchen alleine war und uns auf der Stelle vergewaltigen würde, einfach weil er eben auch bloß ein Mann war, wenn auch mit etwas weniger Armen und Beinen als die anderen, aber mit jungen Mädchen ließ sie als Mutter lieber überhaupt keinen Mann allein, also schickte sie Wasa oder mich ins Schlafzimmer, und wir brachten ihr den Wäschesack mit den Altkleidern, den wir in der Schule genäht und bestickt hatten, und wenn der Mann die gute Gabe anprobierte oder anhielt, sah er meistens so schlimm aus, daß er anfing, uns
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