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Friedhof der Kuscheltiere

Friedhof der Kuscheltiere

Titel: Friedhof der Kuscheltiere
Autoren: Stephen King
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kurz bevor er umstürzte. Es war interessant -- und es war irgendwie belustigend.
    »Gage, fährst du mit mir nach Florida?«
    Wieder dieses Kichern.
    Louis drehte sich um und sah seine Frau; er hatte ihr einmal eine Rose gebracht, die er zwischen den Zähnen hielt. Sie lag auf dem Flur, tot. Ihre Beine waren ebenso gespreizt wie die von Jud. Ihr Kopf und ihr Rücken lehnten schräg an der Wand. Sie lag da wie eine Frau, die beim Lesen im Bett eingeschlafen ist.
    Er ging auf sie zu.
    Hallo Liebling, dachte er. Du bist nach Hause gekommen.
    Das Blut hatte irre Muster auf die Tapete gespritzt. Sie war ein dutzendmal durchbohrt worden, vielleicht auch zwei dutzendmal, wer wußte das schon? Sein Skalpell hatte ganze Arbeit geleistet.
    Plötzlich sah er sie, sah sie richtig, und Louis Creed begann zu schreien.
    Seine Schreie schrillten und widerhallten in diesem Haus, in dem jetzt nur noch der Tod lebte und umging. Er schrie mit hervorquellenden Augen, bleichem Gesicht, gesträubten Haaren; die Laute kamen aus seiner geschwollenen Kehle wie die Glocken der Hölle, grauenhafte Schreie, die nicht nur das Ende der Liebe signalisierten, sondern auch das Ende des gesunden Verstandes; in seinem Hirn wurden alle Bilder des Grauens gleichzeitig lebendig. Victor Pascow, sterbend auf dem Teppich der Krankenstation, Churchs Rückkehr mit Fetzen von grünem Plastik an den Schnurrhaaren, Gages Basketballkappe, die voll Blut auf der Straße lag; vor allem aber das Ding, das er im Moor der Kleinen Götter gesehen hatte, das Ding, das den Baum umgerissen hatte, das Ding mit den gelben Augen, der Wendigo, das Geschöpf der nördlichen Wälder, das tote Ding, dessen Berührung unsägliche Gelüste weckt.
    Rachel war nicht einfach getötet worden.
    Etwas war... etwas war über sie hergefallen.
    (KLICK!)
    Das Klicken war in seinem Kopf. Es war das Geräusch einer Sicherung, die durchbrannte, das Geräusch eines Blitzes, der niederfährt und einschlägt, das Geräusch einer aufgehenden Tür.
    Er blickte benommen auf, der Schrei zitterte noch in seiner Kehle -- und da war endlich Gage, mit blutverschmiertem Mund, triefendem Kinn, die Lippen zu einem teuflischen Grinsen verzogen. In der Hand hielt er Louis' Skalpell.
    Als er es niedersausen ließ, wich Louis fast ohne zu denken zurück. Das Skalpell fuhr an seinem Gesicht vorbei und Gage geriet aus dem Gleichgewicht. Er ist so unbeholfen wie Church, dachte Louis und stieß die Beine unter ihm weg. Gage stürzte hin, und Louis war über ihm, bevor er wieder hochkommen konnte, war auf ihm und nagelte mit einem Knie die Hand fest, in der er das Skalpell hielt.
    »Nein«, keuchte das Ding unter ihm. Sein Gesicht zuckte und verzerrte sich. Die Augen waren wie Insektenaugen in ihrem hirnlosen Haß. »Nein, nein, nein...«
    Louis tastete nach einer Spritze, bekam sie zu fassen. Er mußte schnell sein. Das Ding unter ihm war wie ein eingeölter Fisch und ließ das Skalpell nicht los, so heftig er auch auf das Handgelenk drückte. Und sein Gesicht schien sich zu verändern, während er hinsah. Es war Juds Gesicht, tot und ausdruckslos; es war das zerschlagene, zerstörte Gesicht von Victor Pascow mit bewußtlos rollenden Augen; es war, einem Spiegel gleich, Louis' eigenes Gesicht, grauenhaft bleich und jenseits aller Vernunft. Dann veränderte es sich abermals und wurde zum Gesicht dieses Geschöpfes in den Wäldern -- die niedrige Stirn, die toten, gelben Augen, die lange, spitz zulaufende, gespaltene Zunge, grinsend und zischend.
    »Nein, nein, nein-nein-nein...«
    Es bäumte sich unter ihm auf. Die Spritze flog Louis aus der Hand und rollte über den Fußboden. Er tastete nach einer zweiten, holte sie heraus und stieß sie Gage schnell ins Kreuz.
    Der Körper unter ihm kreischte, wand sich, bockte und hätte ihn fast abgeworfen. Stöhnend griff Louis nach der dritten Spritze. Er jagte sie Gage in den Arm und drückte den Kolben nieder, so weit es ging. Dann stand er auf und wich langsam auf dem Flur zurück. Gage kam unbeholfen auf die Füße und begann auf ihn zuzutaumeln. Fünf Schritte, und das Skalpell fiel ihm aus der Hand. Es traf mit der Spitze auf, bohrte sich ins Holz und blieb zitternd stecken. Zehn Schritte, und das fremde gelbe Licht in seinen Augen begann zu verblassen. Ein Dutzend, und er fiel auf die Knie.
    Jetzt blickte Gage zu ihm auf, und einen Augenblick lang sah Louis seinen Sohn -- seinen echten Sohn -- mit unglücklichem, schmerzverzerrtem Blick.
    »Daddy!« rief er, dann fiel
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