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Friedhof der Kuscheltiere

Friedhof der Kuscheltiere

Titel: Friedhof der Kuscheltiere
Autoren: Stephen King
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irgendwelchen politischen Gründen ins Gefängnis geworfen worden, und Surrendra hatte ihm erzählt, daß einer von ihnen -- ein Onkel, an dem er sehr hing -- vermutlich inzwischen tot war. Surrendra hatte geweint, und die Tränen des gewöhnlich so sanften Inders hatten Steve geängstigt. Und Joan Charltons Mutter mußten beide Brüste abgenommen werden. Die energische Krankenschwester hatte wenig Hoffnung, daß ihre Mutter in fünf Jahren noch am Leben sein würde. Steve selbst hatte seit dem Tod von Victor Pascow an vier Beerdigungen teilgenommen -- die Schwester seiner Frau, die bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen war; ein Vetter, das Opfer einer Kneipenwette (ein tödlicher Stromschlag hatte ihn getroffen, als er beweisen wollte, daß er bis zur Spitze eines Leitungsmastes emporklettern konnte); einer seiner Großväter; und natürlich Louis' kleiner Sohn.
    Er hatte Louis gern, und er wollte wissen, wie es ihm ging. Louis war in letzter Zeit durch die Hölle gegangen.
    Als er die Rauchschwaden entdeckte, war sein erster Gedanke, auch dies ginge auf das Konto von Victor Pascow, der mit seinem Tod eine Art Schranke zwischen diesen gewöhnlichen Menschen und einer außerordentlichen Pechsträhne niedergerissen zu haben schien. Doch das war albern, und Louis' Haus war der Beweis dafür. Still und weiß stand es in der Vormittagssonne, ein Stück gepflegter Neuengland-Architektur.
    Leute liefen auf das Haus des alten Mannes zu, und als Steve auf seinem Motorrad in Louis' Auffahrt einbog, sah er, wie ein Mann auf die Veranda sprang, sich der Vordertür näherte und dann zurückwich. Und das war nur gut: einen Augenblick später flog die Glasscheibe aus der Tür heraus, und Flammen leckten durch die Öffnung. Hätte der Idiot die Tür tatsächlich geöffnet, wäre er von der Stichflamme gegrillt worden wie ein Hummer.
    Steve stieg ab und hob die Yamaha auf ihren Ständer. Louis war vorübergehend vergessen -- die alte Faszination des Feuers schlug ihn in ihren Bann. Vielleicht ein halbes Dutzend Leute hatte sich versammelt; von dem Möchtegern-Helden abgesehen, der noch auf dem Rasen stand, hielten alle respektvollen Abstand. Jetzt flogen die Fenster heraus, die zur Veranda zeigten. Glas tanzte in der Luft. Der Möchtegern-Held duckte sich und ergriff die Flucht. An der inneren Verandawand zuckten Flammen hoch wie tastende Hände; die weiße Farbe begann Blasen zu werfen. Einer der Rattansessel fing an zu glimmen und ging dann in Flammen auf.
    Über dem Prasseln hörte Steve den Möchtegern-Helden schrill und mit einer Art absurdem Optimismus rufen: »Das geht drauf! Das geht bestimmt drauf! Wenn Jud da drin war, ist er längst hinüber! Hundertmal habe ich ihm gesagt, daß in seinem Schornstein zu viel Teer ist!«
    Steve öffnete den Mund, um zu fragen, ob man die Feuerwehr gerufen hätte; doch im gleichen Augenblick hörte er das schwache, näherkommende Heulen vieler Sirenen. Man hatte sie gerufen, aber der Möchtegern-Held hatte recht: das Haus war nicht mehr zu retten. Die Flammen leckten schon durch ein halbes Dutzend zerbrochener Fenster, und das vordere Dachgesims war eine fast durchsichtige Folie vor den leuchtend grünen Schindeln.
    Er wandte sich ab, und da fiel ihm Louis wieder ein -- aber wenn Louis hier wäre, stände er dann nicht bei den Leuten auf der anderen Straßenseite?
    Und dann entdeckte Steve etwas, das er gerade noch mit dem äußersten Augenwinkel wahrnahm.
    Am Ende von Louis' geteerter Auffahrt begann ein Feld, das sich einen langen, sanft ansteigenden Hügel hinaufzog. Das Lieschgras war zwar noch grün, aber für Mai bereits relativ hoch, und Steve entdeckte einen Pfad, der fast so sauber gemäht war wie der Rasen auf einem Golfplatz. Er wand sich den Abhang hinauf und verschwand dann in den Wäldern, die dicht und grün den Horizont füllten. An dieser Stelle, an der das blasse Grün des Grases in das dichtere, sattere Grün der Wälder überging, hatte Steve eine Bewegung gesehen -- ein kurzes Aufleuchten von etwas Weißem, das sich zu bewegen schien. Fast im gleichen Augenblick, in dem er es entdeckte, war es schon wieder verschwunden --  aber in diesem kurzen Augenblick glaubte er einen Mann mit einem weißen Bündel gesehen zu haben.
    Das war Louis, erklärte ihm sein Verstand mit plötzlicher, irrationaler Gewißheit. Das war Louis, und du mußt sehen, daß du ihn einholst, hier ist etwas verdammt Schlimmes passiert, und bald wird noch etwas verdammt Schlimmeres passieren,
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