Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Frevelopfer

Frevelopfer

Titel: Frevelopfer
Autoren: Arnaldur Indriðason
Vom Netzwerk:
den Boden unter den Füßen verloren hatten. Und sie sah auch die unglückliche Familie von Unnur vor sich, die in stummer Trauer litt.
    Damit hätte sich Valdimar nicht abgefunden.
    »Hattest du es von langer Hand geplant?«, fragte sie.
    »Seit dem Augenblick, als Addý mir erzählt hat, was damals passiert ist. Sie wollte nicht, dass ich irgendetwas unternehme, sie wollte nicht, dass ich mich in Schwierigkeiten bringe. Sie machte sich solche Sorgen um mich, den kleinen Bruder. Keine Ahnung, ob du das richtig verstehst. Was sie durchgemacht hat, als er sich an ihr vergangen hatte, und all die Jahre danach. Addý hatte eigentlich aufgehört zu existieren. Sie war nicht mehr meine Schwester, sie war nicht mehr Addý, sondern nur noch ein Schatten ihrer selbst. Sie verkümmerte und hörte schließlich auf zu leben.«
    »Deinetwegen sitzen Vater und Tochter unschuldig in Untersuchungshaft«, sagte Elínborg.
    »Das weiß ich, und das lastet schwer auf mir«, sagte Valdimar. »Ich habe alles mitverfolgt und hatte vor, mich zu stellen. Ich wollte auf keinen Fall, dass Unschuldige für etwas büßen müssen, was ich getan habe. Ich war auf dem Weg zu euch, um mich zu stellen, ich musste hier nur noch das ein und andere ordnen, und damit war ich in den letzten Tagen beschäftigt. Ich gehe nicht davon aus, dass ich jemals zurückkehren werde.«
    Valdimar legte den Schraubenschlüssel weg.
    »Was hat dich auf meine Spur gebracht?«, fragte er.
    »Mein Mann ist Automechaniker, erinnerst du dich?«, antwortete Elínborg.
    Valdimar blickte sie verständnislos an.
    »Der Vater der jungen Frau, die in U-Haft sitzt, sagte aus, dass er in der Wohnung so etwas wie Petroleum gerochen hatte. Seine Tochter muss wohl das Bewusstsein wiedererlangt haben, kurz nachdem du in der Wohnung warst, denn als der Vater eintraf, hing immer noch der Geruch aus deiner Kleidung in der Luft. Ihm kam es so vor, als hätte Runólfur irgendetwas mit Petroleum verbrannt. Diesen Geruch kenne ich von zu Hause, deswegen habe ich noch einmal nachgehakt. Nach Meinung des Vaters konnte es auch Schmieröl gewesen sein. Damit war ich bei der Autowerkstatt, und da dachte ich natürlich sofort an dich, an jemanden, der ständig in seiner Werkstatt hantiert. Mir war klar, dass ich mich intensiver mit Runólfurs Vergangenheit befassen musste, also habe ich mich hier im Dorf umgehört.«
    »Ich bin direkt von der Werkstatt aus losgefahren, in meinen Arbeitsklamotten«, sagte Valdimar. »Addý hätte an dem Sonntag Geburtstag gehabt. Ich hielt das für einen guten Zeitpunkt, um ihr Genugtuung zu verschaffen. Niemand hat mitbekommen, dass ich weggefahren bin, ich bin früh am Abend losgefahren und war morgens wieder zurück. Ich hatte nichts vorbereitet, nichts war geplant, ich wusste kaum, was ich eigentlich vorhatte. Aber ich habe mein altes Rasiermesser mitgenommen.«
    »Der Schnitt ist angeblich sehr professionell gewesen, was aber nicht gegen eine Frau als Täter sprechen musste.«
    »Ich bin es gewohnt, Tiere zu schlachten.«
    »Wirklich?«
    »Ich habe im Herbst immer im Schlachthaus gearbeitet, als es im Dorf noch eines gab.«
    »Die Leute haben wohl zwei und zwei zusammengezählt, als sie erfuhren, dass Runólfur tot war.«
    »Das kann sein, aber davon ist mir nichts zu Ohren gekommen. Vielleicht fanden sie, dass jetzt der Saldo ausgeglichen wäre.«
    »Glaubst du, dass Runólfurs Vater wusste, was sein Sohn getan hatte?«
    »Er wusste es, da bin ich mir ganz sicher.«
    »Du hast mir gesagt, dass du Runólfur einmal in Reykjavík besucht hast«, sagte Elínborg. »Da wusstest du aber noch nicht, dass er deine Schwester vergewaltigt hatte?«
    »Nein. Ich habe ihn in Reykjavík getroffen, und er hat mich zu sich nach Hause eingeladen, das war purer Zufall. Ich war auch nur kurz bei ihm. Wir stammten zwar aus demselben Dorf, aber so gut kannte ich ihn auch wieder nicht, und … ich fand ihn nicht sympathisch.«
    »Hatte er eine Wohnung gemietet?«
    »Er wohnte bei seinem Freund, irgendeinen Eðvarð.«
    »Eðvarð?«
    »Ja, Eðvarð.«
    »Wann war das?«
    »Vor fünf oder sechs Jahren.«
    »Kannst du das präziser sagen?«
    Valdimar überlegte.
    »Es ist sechs Jahre her. Es war 1999. Ich war in Reykjavík, um mir ein gebrauchtes Auto zu kaufen.«
    »Runólfur wohnte vor sechs Jahren bei Eðvarð?«, fragte Elínborg, die sich an Eðvarðs Nachbarn erinnerte, der davon gesprochen hatte, dass Eðvarð ein Zimmer vermietet hatte.
    »Ja.«
    »Und wo war
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher