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Frevelopfer

Frevelopfer

Titel: Frevelopfer
Autoren: Arnaldur Indriðason
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Runólfur?«
    »Ja. Er hat Addý vergewaltigt, und sie hat sich nie wieder davon erholt. Sie haben sie hier am Ufer gefunden, da unten, direkt unterhalb des Friedhofs. Sie wurde an dem Ort angespült, wo sie jetzt ihren Frieden gefunden hat.«
    »Und Runólfur?«
    »Hier wissen alle, wer ihn getötet hat.«
    Elínborg blickte Vala lange an. Vor ihrem inneren Auge sah sie einen Mann, der mit voller Absicht auf die andere Straßenseite wechselt und dem Lkw, der auf ihn zurast, entgegenlächelt.

Zweiunddreißig
    Nachdem Elínborg wieder in die Pension zurückgekehrt war, arbeitete sie ein paar Stunden auf ihrem Zimmer, das sie in ein provisorisches Büro verwandelt hatte. Sie telefonierte mehrmals mit Reykjavík und beschaffte sich weitere Informationen. Sie sprach unter anderem mit Sigurður Óli, und die notwendigen Maßnahmen wurden eingeleitet. Polizisten mussten in das Dorf geschickt werden, aber es würde einige Zeit dauern, bis sie eintrafen. Sigurður Óli schärfte Elínborg ein, vor ihrem Eintreffen nichts zu unternehmen, woraufhin sie ihm sagte, er solle sich ihretwegen keine Gedanken machen. Konráð und Nína waren immer noch in Untersuchungshaft. Elínborg war nicht überrascht, dass sich Konráð in der Zwischenzeit eines anderen besonnen hatte und nun wieder abstritt, Runólfur getötet zu haben. Genauso hartnäckig bestritt er, dass seine Tochter Nína es getan haben könnte.
    Es fing schon an zu dämmern, als Elínborg von der Pension aus ins Dorf schlenderte. Sie überquerte die Hauptstraße und ging auf demselben Weg in Richtung Hafen, den sie bei ihrem ersten Besuch genommen hatte. Die Werkstatt lag am Nordende des Dorfs. Sie dachte an das vorhergesagte Unwetter und hoffte, dass sie nicht hier eingeschneit werden würde. Sie blickte auf das Schild über dem Eingang zur Werkstatt. Nun wusste sie, dass tatsächlich jemand mit einer Schrotflinte darauf geschossen hatte, Vala hatte ihr davon erzählt. Valdimar, der Besitzer der Werkstatt, hatte es irgendwann einmal in betrunkenem Zustand selbst getan. Seit ein paar Jahren rührte er keinen Alkohol mehr an.
    Sie betrat das Büro, wo es noch genauso aussah wie bei ihrem ersten Besuch. Elínborg stellte sich vor, dass sich seit der Eröffnung der Werkstatt nichts geändert hatte. Ein Kalender mit leicht bekleideten Mädchen hing an der Wand hinter der Theke. Er war von 1998. Hier spielten anscheinend Tage, Wochen und Jahre keine Rolle mehr. Die Zeit war stehen geblieben. Über allem – der Theke, dem alten Lederstuhl, der alten Rechenmaschine, dem Auftragsbuch – lag eine dünne Schmutzschicht aus schwärzlichem Ruß von Motoren und Ersatzteilen, Öl und Autoreifen.
    Sie rief in die Werkstatt, und als sie keine Antwort bekam, ging sie hinein. Der Ferguson-Traktor stand an seinem Platz, ansonsten war die Werkstatt genauso leer wie bei Elínborgs erstem Besuch. Zwei Werkzeugschränke an der Wand standen offen.
    »Ich habe gehört, dass du wieder da bist«, hörte sie eine Stimme hinter sich.
    Elínborg drehte sich langsam um.
    »Du hast mich erwartet«, sagte sie.
    Valdimar stand hinter ihr, in kariertem Hemd und verschlissener Jeans. Er hielt seinen Arbeitsoverall in der Hand und zog ihn an.
    »Du bist allein?«, fragte er.
    Sie fasste diese Frage nicht als Drohung auf, denn sie hörte keinen Unterton heraus. Sie wurde gestellt, um Vertrauen zu erzeugen, nicht Angst.
    »Ja«, antwortete Elínborg, ohne zu zögern. Sie wollte ihm gegenüber aufrichtig sein. Als er sich den Overall anzog und die Hände aus den Ärmeln zum Vorschein kamen, erinnerte er sie an Teddi.
    »Ich wohne da oben«, sagte Valdimar und zeigte mit dem Finger zur Decke. »Es war nicht viel zu tun bei mir, deswegen hatte ich mich etwas hingelegt. Wie spät ist es jetzt?«
    Elínborg sagte es ihm. Sie hatte nicht das Gefühl, in Gefahr zu sein. Valdimar war freundlich und ruhig.
    »Dann hast du es nicht weit zur Arbeit«, sagte sie lächelnd.
    »Das ist sehr bequem«, sagte Valdimar.
    »Ich war auf dem Friedhof«, sagte Elínborg. »Da habe ich das Grab deiner Schwester gesehen. Soweit ich weiß, hat sie sich vor zwei Jahren das Leben genommen.«
    »Hast du mal in einem Dorf wie diesem gelebt?«, fragte Valdimar und stellte sich auf einmal so hin, dass Elínborg bei den Werkzeugschränke in die Ecke gedrängt wurde.
    »Nein, ich habe nie in einem Dorf wie diesem gelebt.«
    »Solche Orte können seltsam sein.«
    »Das kann ich mir vorstellen.«
    »Außenstehende wie du werden das nie
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