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Fremde Schwestern: Roman (German Edition)

Fremde Schwestern: Roman (German Edition)

Titel: Fremde Schwestern: Roman (German Edition)
Autoren: Renate Ahrens
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Spüle. Sie behauptet, ihre Hände bereits gewaschen zu haben. Als ich sie sehen will, höre ich Lydias scharfes Wieso. Ob ich ihrer Tochter etwa nicht glauben würde.
    »Was Sauberkeit angeht, glaube ich keinem von euch.«
    Sie rümpft die Nase und beginnt, Merles Haare trockenzureiben. »Du hast dich auch kein bisschen verändert.«
    »Ihr könnt gerne gleich wieder gehen.«
    »Nein!«, ruft Merle, »ich hab Hunger!«
    »Tante Franka hat sicher was Leckeres zu essen für dich«, sagt Lydia und schaut mich aus ihren halbgeöffneten Augen an. »Und wie du dir vielleicht denken kannst, esse ich auch gern eine Scheibe Brot, vielleicht mit Camembert oder gekochtem Schinken.«
    Ihre Stimme hallt in meinen Ohren nach, als wolle sich dieser volle Klang in die Ohrwindungen einschmeicheln und dort festsetzen. Was hat sie bloß für eine schöne Stimme, deine Schwester, sagten die Lehrer immer voller Bewunderung. Daraus sollte sie später mal etwas machen. Natürlich hat sie nichts daraus gemacht.
    An die Spüle gelehnt, beobachte ich, wie Merle sich auf das Brot stürzt, es nicht mal mit Butter bestreicht, sondern nur etwas Salami auf die Scheibe legt und sie hinunterschlingt. Und auch Lydia kann ihr Camembertbrot gar nicht schnell genug essen. In wenigen Minuten haben sie sechs Scheiben verschlungen.
    »Wenn es dir nichts ausmacht, hätten wir gern noch mehr«, sagt Lydia und lächelt.
    Ich schneide vier weitere Scheiben ab. Gleichzeitig ertappe ich mich bei dem Gedanken, dass ich lieber einem Penner ein Frühstück in meiner Küche servieren würde als Lydia und ihrer Tochter.
    Wann sie zuletzt etwas gegessen hätten, frage ich schließlich. Das sei schon eine Ewigkeit her, stöhnt Merle. Zuletzt sei es etwas knapp gewesen, erklärt Lydia.
    »Wo kommt ihr überhaupt her?«
    »Aus Nepal!«, ruft Merle stolz. »Da gibt es riesige Berge.«
    Lydia lächelt. Es sei eine wunderbare, ganz und gar einzigartige Landschaft. Und dieses Licht. Ein Traum für eine Malerin. Ob sie von sich spreche?, frage ich. Ja, allerdings, entgegnet Lydia, auch wenn ich ihre Kunst nie verstanden hätte. Welche Kunst, frage ich.
    »Meine Mama malt tolle Bilder!«, ruft Merle.
    Ich hole tief Luft und beschließe, das Thema zu wechseln. Nepal sei eines der ärmsten Länder der Welt. Ich könne mir nicht vorstellen, wie sie dort gelebt hätten. Nein, das könne ich sicher nicht, sagt Lydia und lässt ihre Blicke über die Einbauküche aus Stahl, Glas und Marmor wandern, die ich mir ebenfalls nach Mutters Tod zugelegt habe und die noch immer wie neu aussieht. Sie habe im Laufe der Jahre gelernt, sich auf innere Werte zu besinnen, erklärt sie. Das sei gut für die Seele. Aber so eine wie ich, die fürs Fernsehen schreibe, habe vielleicht gar keine Seele mehr. Ich denke an Merle und frage mich, inwieweit es gut für die Seele ist, einen Schmutzlappen als Unterhose zu tragen.
    »Scheint dir nichts auszumachen«, sagt Lydia.
    »Auf deine Art von Seele kann ich verzichten.«
    »Bist du eine Hexe?«, fragt Merle misstrauisch.
    Lydia nimmt sie auf den Schoß und flüstert ihr etwas ins Ohr. Merle blickt erschrocken zu mir herüber.
    »Was ist?«, frage ich.
    Keine Antwort, nur dieses Starren, in dem jetzt auch etwas Feindseliges liegt.
    »Vor ein paar Jahren hast du mir mal eine Postkarte aus Südafrika geschrieben«, sage ich nach einer Weile.
    »Ich dachte, du freust dich über ein kleines Lebenszeichen.«
    »Du wolltest Oliven anbauen und hattest schon eine Farm in Aussicht.«
    »Wann waren wir in Südafrika?«, fragt Merle.
    »Das ist lange her. Du warst noch ganz klein.«
    »Und warum sind wir nicht geblieben?«
    »Weil wir mit Jeff zusammen sein wollten, und Jeff wollte nach Indien.«
    »In Indien wart ihr auch?«
    Lydia nickt. »Drei Jahre lang.«
    »Da haben wir in einer kleinen Hütte gewohnt, und ich hatte ein Äffchen«, ruft Merle. »Indien ist schön.«
    »Hast du eine Zigarette für mich?«, fragt Lydia.
    »Nein, ich rauche schon lange nicht mehr.«
    Wieder schweigen wir alle drei. Lydia schenkt sich Tee nach, Merle malt mit dem Zeigefinger Kreise auf den Tisch, und ich blicke hinaus in den Regen.
    Es herbstet, hätte Mutter an einem solchen Morgen verkündet und dann entschlossen die Lippen zusammengepresst. Lydia und ich haben als Kinder immer gegen diese Bemerkung protestiert, weil Herbst das Ende der Kniestrümpfe bedeutete und uns beiden nichts verhasster war, als nach einem langen Sommer in die dunklen, kratzenden Strumpfhosen gesteckt zu
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