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Fremde Federn

Fremde Federn

Titel: Fremde Federn
Autoren: Unbekannter Autor
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sei nur eine Randfigur, oder anders ausgedrückt, sie gehöre nicht zum inneren Kreis, dann muß ich Ihnen leider sagen: Doch, sie gehört definitiv dazu.« Bannen lächelte ein wenig, als teile er das nun nicht ungern mit, und schnitt winzige Dreiecke aus dem Papier.
    »Soll das heißen, daß sie zu den Verdächtigen gehört?«
    Bannens Augen hatten einen sanften, kühlen Grauton, die Farbe des Brackwassers in den Entwässerungsgräben, an denen Jury auf dem Weg von London vorbeigekommen war. »Alle, die zu der Zeit dort waren, sind verdächtig.«
    »Ich würde wohl eher das Wort >Zeugen< benutzen.«
    »Benutzen Sie, was Sie wollen«, beschied ihm Bannen liebenswürdig und schnippelte weiter Muster ins Papier. »Aber sie hatte die Gelegenheit - sie und die Dunn waren draußen, während die anderen sich im Haus aufhielten -, und sie hatte mit der Ermordeten eine Auseinandersetzung. Des weiteren war Ihre Freundin Lady Kennington allem Anschei nach die letzte, die das Opfer lebend gesehen hat, und hat, nachdem sie von der Dunn fortgegangen ist, mutterseelenallein einen Spaziergang gemacht.« Er hielt inne und dachte nach. »Behauptet sie jedenfalls.« Er schaute Jury ruhig an und schnippte ein paarmal mit der Schere. Es sah aus, als wenn ein Krokodil zuschnappte. »Wenn Sie also ich wären, Superintendent, würden Sie dann nicht sagen, daß Jennifer Kennington >zum Kreis der Verdächtigen gehört    Er träumte, daß Jenny über das Fen ging; Menschen schlossen sich ihr an und bildeten eine Prozession. In der Kathedrale von Lincoln war Gottesdienst. Er hörte das leise Klingeln eines Weihrauchgefäßes.
    Es war das Telefon neben seinem Ohr. Jury tastete danach, es fiel herunter. Als er versuchte, den Schlaf abzuschütteln, hatte er ein Gefühl, als verschlucke er einen riesigen Luftschwall. Seine Brust tat weh, er spürte ein Stechen. Ein Herzanfall? In einem Bed & Breakfast in Lincoln? Wenn er schon den Abgang machen mußte, dann lieber in seiner eigenen Bude in Islington, Mrs. Wassermann und Carole-Anne mit tränenfeuchten Augen an seinem Bett. Endlich kriegte er den Hörer zu fassen. »Ja, bitte?«
    »Bannen. Dachte schon, Sie nehmen gar nicht mehr ab. Schlafen Sie noch? Ich bin schon seit Stunden auf.«
    Jury biß die Zähne zusammen. »Um so besser für Sie. Aber was ficht die Kripo in Lincolnshire um sechs Uhr morgens an?«
    »Wenn Sie sich ein bißchen sputen, zeige ich Ihnen was Interessantes.«
    »Und wo bitte?« Jury rieb sich die Augen. Es fühlte sich an, als wäre Glasstaub darin.
    »Im Wyndham Fen.«
    »Wo ist das?«
    »Ich kann Sie in zwanzig Minuten abholen. Seien Sie bis dahin fertig.«
    »Worauf Sie sich verlassen können.« Der Satz ging ins Leere, denn Bannen hatte schon aufgelegt.
    Die Zeiger des Nachttischweckers weigerten sich beharrlich, zu einer zivileren Zeit vorzurücken. Es war zehn nach sechs an einem Februarmorgen und dunkel wie im Grab.
    Damit hatte Jury nicht gerechnet. Sie fuhren sechzig Kilometer nach Südosten, nach Spalding. »Das Gelände gehört dem National Trust«, hatte Bannen ihm mitgeteilt und mehr eigentlich nicht.
    Das Wyndham Fen war um halb acht morgens in graues Schweigen gehüllt, ab und zu schrie eine Eule, die hohen Schilfgräser in den schmalen Kanälen rasselten wie Säbel. Kristallene Spinnweben hingen an dem Geländer der hölzernen Promenade; die Schafe draußen auf den fernen Weiden waren mit Rauhreif bedeckt und sahen aus, als trügen sie Mäntel aus Glas. Morgens waren die Fens wahrscheinlich am malerischsten, Wyndham Fen gewiß. Wenn da nicht die Leiche gelegen hätte.
    Sie schwamm mit dem Gesicht nach oben in einem Kanal und hatte einen blauen Hautwulst rings um den Hals, der die Art ihres Todes verriet - die Frau war erdrosselt worden. Wie sie so still dahertrieb, umgeben von Riedgras und Wasserfeder, mußte Jury an das Burne-Jones-Gemälde von Ophelia denken. Aber im Gegensatz zu der wunderschönen Ophelia war diese junge Frau wenig ansehnlich. Ihr Gesicht war geschwollen und dunkel blutunterlaufen; Augen und Zunge quollen hervor. Selbst bevor sie so entstellt wurde, konnte sie nicht hübsch gewesen sein. Ihr Gesicht war sicher schwammig gewesen und ihr plumper Körper wenig reizvoll. Vielleicht wäre sie ja später im Leben erblüht, doch nun gab es für sie kein späteres Leben mehr.
    Bannen ging über den schmalen Steg, der den Kanal überspannte, und beriet sich mit einem
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