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Fremd küssen. Roman

Fremd küssen. Roman

Titel: Fremd küssen. Roman
Autoren: Steffi von Wolff
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war nur für annere da. Isch han geputzt, gewasche, gekocht un war a gut Mutter! ISCH WILL NET IN DE KNAST !!!«
    Ihre Stimme überschlägt sich. Ich bekomme es mit der Angst zu tun. Wir stehen im Flur, im Prinzip kann uns jeder Nachbar hören. »Schsch!«, mache ich und halte den Finger vor den Mund. Frau Eichner wird leiser und weint vor sich hin. Ich ziehe sie hoch und verfrachte sie erst mal in meine Küche. Ein Schnaps. Ich brauche einen Schnaps, obwohl ich immer noch Kopfweh von der vergangenen Nacht habe. Panisch renne ich ins Wohnzimmer. Leere Flaschen und kaputte Gläser liegen verstreut im ganzen Raum herum. Natürlich, Richard und ich haben ja gesoffen wie die Haubitzen. Und aufgeräumt ist auch noch nicht. Das ist jetzt auch egal. Mist. Kein Alkohol im Haus. Dann koche ich halt Kaffee. Oder Tee. Als ich zurück in die Küche komme, sitzt Frau Eichner auf meinem Küchentisch und macht »Ommmm, ommmm«.
    »Was soll das denn?«, frage ich verwirrt.
    »Des is gud für mei Nerve!«, sagt sie. »Isch tu in de Bauch atme, da gehen die Verspannungen weg und da komm isch wieder zu mer … Ommm, ommm!«
    Gleichmäßig wiegt sie ihren Oberkörper hin und her. »Des han isch von meiner Enkelin gelernt. Die geht nämmlisch in Esoterik-Kurse … ommm!«
    Wie schön, dass Frau Eichner sonst keine Probleme hat. »Wir müssen jetzt mal in Ihre Wohnung gehen und nachsehen«, sage ich barsch. »Der Tote verschwindet bestimmt nicht von selbst!« »Gehen Sie gugge, Frau Carolin, bidde!«, fleht Frau Eichner. »Isch tu des net verkrafte!«
    Ach, das ist ja interessant, aber ich soll das verkraften. Was soll ich denn heute noch alles verkraften?
    »Sie kommen mit!«, befehle ich und ziehe sie vom Küchentisch runter. Sofort fängt sie wieder an, laut zu heulen. »Isch kann nett. Isch muss erst ferdisch atme, sonst nutzt mer die ganz Übung nix!«
    »Frau Eichner, wir gehen jetzt runter in Ihre Wohnung und schauen nach dem Toten. Sie können nicht erst jemanden erschlagen und danach Entspannungsübungen machen!« Jetzt bin ich wütend. Und müde. Und verzweifelt. »Wir schauen jetzt unten bei Ihnen, was wir mit dem Toten machen!« »Mit welchem Toten?«
    Entsetzt drehe ich mich um. Vor mir steht Gero. Gero Krauss. Mein allerbester Freund. Gero ist schwul und dafür liebe ich ihn. Wir kennen uns seit 10  Jahren, er hat mich damals von der Straße aufgelesen, nachdem ich mit dem Fahrrad gestürzt war. Quasi hat er mir damals das Leben gerettet, denn direkt nach ihm kam ein 12 -Tonner mit überhöhter Geschwindigkeit die Bundesstraße entlanggerast. Er fuhr mich ins Krankenhaus und kollabierte im Behandlungsraum, als meine Jeans vom Arzt aufgeschnitten wurde und darunter eine riesige Platzwunde am Knie zum Vorschein kam. Gero kann nämlich kein Blut sehen. Ich wartete dann, bis
er
verarztet war, und wir fuhren gemeinsam eine Pizza essen und sind seitdem die dicksten Freunde. Aber was tut Gero hier und vor allem, wie kommt er in die Küche? »Die Tür war offen«, sagt Gero. »Habe ich irgendwas verpasst? Haben wir eine Leiche im Keller? Ha!«, lacht er ob dieses Wortwitzes.
    Er stellt zwei Taschen ab. Ich sehe frisches Gemüse, Nudeln und aller-hand anderes Zeug. Richtig! Wir wollten ja heute zusammen kochen und dann zum vierzigsten Mal »Titanic« schauen. Wir können beide ganze Passagen synchron mitspielen und -sprechen. Ich bin Rose de Witt Bukater, er ist Jack Dawson oder manchmal auch Caldon Hockley, Roses Verlobter. Am ergreifendsten ist für uns die Szene, in der Jack und Rose, nachdem die Titanic untergegangen ist, im Wasser vor sich hin dümpeln, sie auf einer nicht versunkenen Holztür der ersten Klasse liegend, er im Atlantik treibend vor ihr. Sie schläft oder ist im Halbkoma wegen der Kälte oder was auch immer, kriegt jedenfalls nichts mit, und er stirbt währenddessen. Sie wacht auf, weil ein Offizier aus einem Rettungsboot ruft: »Ist da wer?« Sie sieht, dass Hilfe naht, Jack aber tot ist und seine Hände wegen der Minustemperaturen an der Holztür festkleben. Sie sagt zu Jack: »Ich werd es nie vergessen. Ich versprech’s dir«, löst seine Hände und lässt den armen Leonardo di Caprio zu den Fischen tauchen. Da müssen wir beide immer heulen. Einmal sagte Gero zu mir während dieser Szene: »Ich wäre auch für dich gestorben!«
    Grundgütiger! (Das sagte Rose, als sie von Mr.Andrews, dem Schiffsbauingenieur, erfuhr, dass die Titanic in spätestens zwei Stunden auf dem Grund des Ozeans liegen würde.) Aber so
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