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Freikarte fürs Kopfkino

Freikarte fürs Kopfkino

Titel: Freikarte fürs Kopfkino
Autoren: Selim Özdogan
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hast du schon mal geraucht? Mir darfst du es ruhig erzählen, sagte sie, ich petzte auch nicht, versprochen.
    Ich schüttelte den Kopf.
    - Und das hier, fragte sie, weißt du, was das ist? Man kann es noch nicht so gut erkennen, aber wenn du dran riechst, müsstest du es wissen.
    Sie hockte sich hin und zupfte etwas ab und gab es mir.
    - Pfefferminz, sagte ich und jetzt lachte Mutter.
    - Ja, sagte sie, gut. Pfefferminz. Und das hier?
    - Äh, Götterspeise, nein, also ... Waldmeister.
    - Bravo, mein Großer. Das reicht schon für heute.
    Sie zog sich einen Liegestuhl in den Schatten, machte sich eine Dose Bier auf, gab mir eine Kappe und einen Schlauch und ließ mich die Pflanzen gießen, während sie rauchte. Hinterher säten wir ein paar Samen und Mutter ließ mich die Namen der Pflanzen nachsprechen. Viele hatte ich noch nie gehört, aber beim Mohn sagte ich: - Klatschmohn.
    Denn das kannte ich.
    - Ja, sagte Mutter und lachte, aber das hier ist ein anderer, der klatscht nicht, der schläft.
    Sie legte wieder eine Hand auf meinen Kopf und sagte:
    - Ouasim ...
    Und dann wie zu sich selbst:
    - Wie blond du bist.
    Dabei war sie ja auch blond.
    Oma und Opa sagten immer Wasi zu mir, als sei mein Name Wassily. Auch in der Schule wurde ich so genannt. Aber in diesem Sommer nannte Mutter mich immer Ouasim, und das war schön. Als sei das unser Geheimnis. Obwohl es ja in meinem Pass stand.
    Und wir hatten noch andere Geheimnisse. Ich durfte die Pflanzen im Garten nicht verraten.
    - Sie gehören nicht mir, sagte Mutter, sie gehören nur sich selbst, und deswegen darfst du auch niemandem verraten, wer alles hier ist, versprochen?
    Ich nickte. Wir spielten später noch Memory an diesem Tag und Mutter war gar nicht schlecht für eine Erwachsene. Dann hat sie eine Kassette in den Rekorder getan und zuerst nur mitgesungen, aber dann hat sie angefangen zu tanzen. Und sie wollte, dass ich auch tanze. Zuerst wollte ich nicht. Aber Mutter war so fröhlich und sie hat sich nicht mehr bewegt wie eine Spielfigur, sondern wie Haare im Wind.
    Wir haben getanzt, bis wir ganz nassgeschwitzt waren. Dann hat sie mir ein Handtuch unters T-Shirt geschoben, damit ich mich nicht erkälte. Mutter hat sehr viel gelacht, als wir uns ausruhten. Sie war richtig albern, wie Oma und Opa es nie waren.
    Erst als wir vor unserem Haus gehalten haben, ist ihr Gesicht wieder eckig geworden.
    - Hat es dir gefallen?, hat sie mich gefragt.
    Ich habe genickt.
    - Sollen wir das wiederholen?
    - Ja.
    - Kriege ich noch einen Kuss? ... Na, vielleicht nächste Woche.
    - Wie siehst du denn aus?, sagte Oma, als ich reinkam. Hat deine Mutter sich in den Liegestuhl gelegt und dich die Gartenarbeit machen lassen? Geh mal ins Bad und zieh die dreckigen Sachen aus.
    Auch an den nächsten Samstagen holte Mutter mich mit dem Auto ab und wir verbrachten die Zeit in ihrem Schrebergarten. Wir tanzten, tranken selbstgemachte Limonade, machten Kopfstände und spielten mit Murmeln. Mutter hatte Kassetten, die ganz anders waren als die Musik, die ich kannte. Pablo Gad, John Holt, Eddy Grant, Lucky Dube, sie brachte mir die Namen der Sänger bei und erzählte mir, wie sie in England gewesen war, in London. Dort hatte sie eine Kassette mit ganz vielen verschiedenen Sängern gekauft, von einem Schwarzen an einem Straßenstand.
    - Die Dinge bewegen sich, sagte sie. Nicht nur, wenn man tanzt. Die Kassette wollte von England nach Deutschland und ich habe ihr dabei geholfen.
    - Aber du hast sie doch gekauft, sagte ich. Sie gehört ja jetzt dir. Du kannst entscheiden, wohin die Kassette geht.
    - Ja?, sagte meine Mutter und sah mich ganz verwundert an. Womit habe ich die Kassette denn gekauft?
    Vielleicht wollte sie mich auf den Arm nehmen.
    - Mit Geld.
    - Und wem gehörte das Geld?
    - Na, dir.
    - Ja? Und warum habe ich es dann jemand anderem gegeben, wenn es mir gehörte?
    - Na, um die Kassette zu bekommen.
    - Und dann gehört das Geld nun ihm?
    - Ja.
    - Und was hat er damit gemacht?
    - Er hat sich etwas dafür gekauft.
    - Aha, er hat es auch wieder weggegeben.
    - Ja.
    - Schau, sagte Mama, diese Hose, die gehört doch dir?
    Ich nickte.
    - Und du würdest sie wiedererkennen unter ganz vielen Hosen, richtig? Und du würdest sie nicht jemand anderem geben. Aber das hier – sie holte einen Schein heraus –, das würdest du nicht wiedererkennen unter ganz vielen anderen Scheinen. Und man kann es weggeben, ohne dass man es schade findet. Oder ohne dass man genau denselben Schein noch mal haben
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