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Freikarte fürs Kopfkino

Freikarte fürs Kopfkino

Titel: Freikarte fürs Kopfkino
Autoren: Selim Özdogan
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möchte. Das ist mit den Sachen, die einem gehören, anders. Geld gehört einem nicht. Man gibt es nur weiter. Es fließt. Wie Wasser. Und das Wasser im Fluss oder im Meer gehört auch niemandem. Hosen und Knöpfe und Autos und Gärten können nicht fließen. Der Garten gehört mir vielleicht, aber die Pflanzen nicht, denn Pflanzen können fließen. Sie bewegen sich. Sie wollen die Welt sehen. Ich habe dir erzählt von den Kartoffeln, den Tomaten, dem Chili, dem Pfeffer und dem Zimt. Vom Tee und Kaffee. Sie haben alle die Menschen genutzt, weil sie die Welt sehen wollten. Sie kamen nicht allein über den Ozean, also haben sie sich Menschen als Transportmittel gesucht. Die Menschen glauben, die Pflanzen würden ihnen gehören und sie würden die Pflanzen nutzen, dabei ist es nicht so. Wir haben uns nur daran gewöhnt zu glauben, es würde sich alles um uns drehen. Aber die Pflanzen waren schon lange vor uns da. Und sie werden auch nach uns hier sein. Sie kommen uns nur besuchen.
    Manchmal redete sie so viel und ich verstand oft nicht genau, was sie sagen wollte. Wenn sie dann aufhörte zu reden, dann sah sie mich an. Nicht als wollte sie schauen, ob ich sie verstanden hatte. Nicht wie eine Lehrerin. Sie schaut mich an und ihre Augen glänzten und ihre Lippen sahen so aus, als hätten wir lange zu einer Kassette getanzt. Sie sah so aus, als würden wir zusammengehören. Als wären wir zwei Superhelden, die immer zusammen arbeiteten vielleicht: Ein Team von Superhelden (um die zusammengehören-Wiederholung zu vermeiden) .
    Erst als es nicht mehr lang dauerte bis zu den Sommerferien, durfte ich auch unter der Woche zu Mama. Ich war lieber bei ihr als Fußball zu spielen oder auf den Fahrrädern durch den Wald zu fahren. Damals fing Mama dann an mich zu fragen, wie lange ich denn im System wäre. Sie fand es schön, mich von der Schule abzuholen, das konnte ich sehen. Sie lehnte immer am Auto, manchmal in ihrer Gärtnerlatzhose. Meistens rauchte sie.
    Wenn sie mich von zu Hause abholte, dann lächelte sie selten, ihr Gesicht war dann kantig und einmal fragte ich sie im Auto, warum Opa nie mit ihr redete.
    - Weil er mich liebt, sagte sie. Nur auf Menschen, die man sehr liebt, kann man so böse sein, dass man nicht mehr mit ihnen spricht.
    Dann hielten wir an einer Ampel und sie drehte sich nach hinten:
    - Und nur mit Menschen, die man sehr liebt, kann man viel reden, ohne müde zu werden. Komisch, nicht? Vielleicht auch nicht. Es sind Geschichten. Man möchte die gleichen Geschichten kennen wie die Menschen, die man liebt. Und wenn die Liebe weh tut, dann möchte man die Geschichten vergessen.
    In den Sommerferien durfte ich dann zwei oder drei Tage in der Woche zu Mama in den Garten. Sie redete viel, sie erzählte Geschichten, wie Parvati Shiva den Hanf gebracht hatte, wo der Kaffee herkam, wie der Wind Teeblätter ins heiße Wasser geweht hatte, weil er den Menschen den Tee schenken wollte.
    Ihre Worte, die Sonne, die selbst gemachten Limonaden, die Selbstgedrehten, die meine Mutter rauchte und von denen sie behaupteten, sie würden Drachenzauber heißen, die Grüntöne der Pflanzen, das Jäten, das Gießen, das Harken. Manchmal, wenn ich heute zurückschaue, sieht es so aus, als stecke meine ganze Kindheit in diesem Sommer. Als hätte ich nur Erinnerungen an diese Zeit, die außerhalb von allem war, was ich sonst kannte, abenteuerlich und heil zugleich.
    Die einzigen Sorgen, die dieser Sommer brachte, waren im Gesicht meiner Großmutter besser: die dieser Sommer brachte, waren … (denn sonst sieht er sie zuerst und dann sind sie wieder kaum zu sehen). Doch sie waren versteckt zwischen den Falten, man konnte sie kaum sehen, nur hören, wenn Waschtag war oder Gartenarbeit anstand, dann stöhnte sie mehr als sonst. Meine Mutter stöhnte nicht, sie redete mit den Pflanzen, nicht wie man mit einem Hund redet oder einer Katze, sondern so wie sie mit mir redete.
    Gram und Langen Gram und Langen?, das ist unausweichlich, doch sie kamen erst nach diesem Sommer, sie hatten darin keinen Platz.
    - Wie lange bist du im System?
    Ich verstand schon beim ersten Mal, dass meine Mutter wissen wollte, wann ich frei hatte, aber ich begriff dennoch nicht, was sie mir mit dieser Fragen sagen wollte.
    - Warum sagst du das immer?, fragte ich nach einigen Wochen, warum sagst du System zur Schule?
    - Du darfst nicht reden im Unterricht, du musst aufpassen, du musst lernen, du bekommst Noten, du wirst bewertet, aber nur in den Dingen, die in der
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