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Freiheit statt Kapitalismus

Freiheit statt Kapitalismus

Titel: Freiheit statt Kapitalismus
Autoren: Sahra Wagenknecht
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Programm geht heute europaweit in seine letzte Phase.
     
    Ein altes Bonmot lautet, die Staatsschulden seien schlicht die nicht gezahlten Steuern der Reichen. Mit Rücksicht auf die Bankenrettung müsste man heute ergänzen: Die Staatsschulden sind die nicht mehr gezahlten Steuern und die verlorenen Finanzwetten der Reichen. Und für diese Schulden sollen heute Rentner, Beschäftigte, Arbeitslose oder Kleinunternehmer mit ihrer sozialen Existenz bezahlen?
    Schuldenerlass statt Schuldknechtschaft
    Schulden, die auf die geschilderte Weise zustande gekommen sind, muss man nicht bedienen, sondern streichen. Nicht nur in Griechenland, europaweit. Das ist keine kühne Phantasie, sondern jahrtausendealte Praxis. Die Geschichte der privaten und öffentlichen Schulden ist eine Geschichte von Schuldenerlassen. Schon im Babylonischen Reichund in der Antike wurden bei nahezu jedem Machtwechsel private Schulden gestrichen, um den Betroffenen einen Neuanfang zu ermöglichen. Als das Römische Reich diese Praxis beendete, war es bald selbst am Ende und begann, ökonomisch und politisch zu zerfallen.
    Kreditgeber der Krone oder der öffentlichen Hand mussten über Jahrhunderte immer wieder ihre Ansprüche in den Wind schreiben. Für die Rechtmäßigkeit dieses Vorgangs gibt es sogar eine marktwirtschaftliche Begründung. Zinsen sind der Preis für Risiko. Die Banken haben die hohe Verschuldung Griechenlands und anderer Eurostaaten freiwillig finanziert. Niemand hat sie dazu gezwungen. Und sie haben an den öffentlichen Schulden gute Zinsen verdient. Welcher Markwirtschaftler kann sich beschweren, wenn das Risiko, dessen Preis die Staaten jahrzehntelang zahlen, irgendwann eintritt?
    Es gibt aber nicht nur eine marktwirtschaftliche Begründung, sondern auch eine rechtliche. Sind etwa die erworbenen Rentenansprüche eines griechischen Pensionärs weniger wert als die Zinsansprüche einer Bank? Ist der Wohlstand, ja die soziale Existenz ganzer Völker nachrangig im Vergleich zu den Forderungen ihrer Kreditgeber? Schuldknechtschaft, die Versklavung eines säumigen oder zahlungsunfähigen Schuldners, war im alten Rom Teil der Rechtsordnung. In modernen Staaten ist Schuldknechtschaft verboten und unter Strafe gestellt. Wo der einzelne Mensch nicht versklavt werden darf, soll die Versklavung ganzer Länder rechtmäßig sein? Als die griechische Polizeigewerkschaft dazu aufrief, die Vertreter der Troika zu verhaften, war das vermutlich rechtskonformer als alles, was die griechische Regierung in den letzten zwei Jahren getan hat.
    Die Schuldenmaschine
    In Wahrheit führt kein Weg an einer Entschuldung der Staaten vorbei. Der Grund ist schlicht, dass es heute im Vergleich zur Wirtschaftsleistung viel zu viele Schulden gibt. Die Deregulierung des weltweiten Finanzsektors hat nämlich nicht nur gemeingefährliche Zockergeschäfte mit Währungen, Lebensmitteln und Rohstoffen möglich gemacht. Sie hat den Finanzhäusern auch die Möglichkeit gegeben, das unvermeidliche Schmiermittel solcher Geschäfte in nahezu unbegrenzterGrößenordnung selbst herzustellen: Kreditgeld. Nur deshalb konnte das Finanzsystem jahrelang ein globales Schuldenwachstum finanzieren, das das realwirtschaftliche Wachstum um ein Vielfaches übertraf.
    Besonders schnell wuchsen dabei zunächst nicht die öffentlichen, sondern die privaten Schulden, also die von Konsumenten und Unternehmen. Bei Ersteren wurden so die Konsumausgaben stabilisiert und Nachfrageausfälle wegen stagnierender Löhne ausgeglichen. Bei Letzteren ging es vor allem um die Finanzierung von Übernahmen und Aktienrückkäufen, was die Banken und Aktionäre reich machte, aber die Produktivität mitnichten erhöhte. Die Kluft zwischen realer Wirtschaftsleistung und Schuldenberg wurde dadurch Jahr um Jahr größer. In der Finanzkrise 2008 eskalierte dieser Widerspruch zum ersten Mal, und die seither verfolgte Politik lässt sich auf einen kurzen Nenner bringen: Sie tut alles, um eine Entwertung von Schulden zu verhindern. Auf Dauer kann das nicht gut gehen.
     
    Wenn ein Markt ein Gut in größerer Menge produziert hat, als es Abnehmer dafür gibt, wird dieses Gut irgendwann entwertet. Der Finanzmarkt hat in den letzten Jahrzehnten weit mehr Schulden produziert, als realwirtschaftlich tragbar sind und sich aktuell refinanzieren lassen. Eine Politik, die sich mit allen Mitteln gegen eine Entwertung der Schulden stemmt, muss am Ende scheitern und versagt vor der Aufgabe, die Entwertung politisch zu gestalten.
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