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Freiheit statt Kapitalismus

Freiheit statt Kapitalismus

Titel: Freiheit statt Kapitalismus
Autoren: Sahra Wagenknecht
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wie viel von dem ihnen bereitgestellten Geld sie überhaupt an die Staaten weiterreichen. Im ganzen Jahr 2010 hätten alle Eurostaaten zusammen etwa 300 Milliarden Euro benötigt, um ihr Primärdefizit zu finanzieren. Aktuell aber werden die Banken mit 500 Milliarden Euro im Zweimonatsrhythmus zugeschüttet. Nur einen Bruchteil davon geben sie an die Staaten weiter, während der größte Teil in spekulative Geschäfte ohne jeden volkswirtschaftlichen Nutzwert kanalisiert wird. Ganz abgesehen davon, dass auch Zinsen von 5 Prozent für italienische oder spanische Staatsanleihen für diese Länder langfristig nicht tragbar sind, wenn die Wirtschaft stagniert und die Inflation bei etwa 2 Prozent liegt. Solche Zinsen bedeuten eine stetig weiter ansteigende Gesamtverschuldung.
    Geschäftsinteressen statt Inflation
    Doch zurück zum Thema Inflation. Dass staatliche Defizitausgaben Inflation verursachen sollen, wenn sie niedrig verzinst oder zinslos über die Zentralbank finanziert werden, und keine Inflation, wenn das gleiche Defizit zu höheren Zinsen über die privaten Banken finanziert wird, die das Geld auch von der Zentralbank haben, ist eine krude Logik. Tatsächlich geht es um etwas anderes: nicht um Inflation, sondern um Interessen.
     
    Es gibt genau einen Grund, der gegen Zentralbankkredite an Staaten spricht: das Geschäftsinteresse der privaten Banken, die an der Zinsdifferenz zwischen Notenbankkredit und Staatsanleihe prächtig verdienen. Aktuell erleben wir in Europa, wie sie die Macht, über den von den Staaten zu zahlenden Zinssatz zu entscheiden, auch dafür nutzen, die Politik in ihrem Sinne zu steuern. Hätten die Staaten das Recht, auf Kredite der EZB zurückzugreifen, müsste sich keiner mehr um hysterische Finanzmärkte und ihre erratischen Ausschläge, um Kettenreaktionen oder die Noten der Rating-Agenturen scheren.
     
    Während Notenbankkredite das System der staatlichen Defizitfinanzierung auf eine rationale Grundlage stellen würden, ist die heutige Geldflutung der Banken alles andere als ungefährlich. Zum einen, weil sie den Finanzsektor immer weiter aufbläht und stärkt. Zum anderen aber auch, weil aus ihr langfristig ebenfalls Inflation entstehen kann. Solange die Geldflut der Zentralbanken ausschließlich den spekulativen Finanzkreislauf antreibt, mit ihr also nur Aktien, Anleihen und Derivate gekauft werden, scheint das die Preise normaler Güter unberührt zu lassen.
    Aber auch Rohstoffzertifikate und Lebensmittelfutures sind Finanzpapiere. Wird deren Wert spekulativ in die Höhe getrieben, steigen auch die realen Preise von Öl, Reis oder Soja. Die extreme Verteuerung elementarer Lebensmittel 2008 hatte keinen anderen als diesen Grund: Sie war spekulationsgetrieben. Für die aktuellen Spitzenpreise an deutschen Tankstellen ist die Geldpolitik der EZB zumindest mitverantwortlich. Ein Finanzmarktboom kann auch schnell die Preise von Anlageimmobilien mit nach oben ziehen, wie das in Deutschlandgerade geschieht. Was aber teuer gekauft ist, will sich anschließend auch höher verwerten. Steigende Mieten sind vorprogrammiert.
    Interessant ist auch, mit welcher Verve sich die Inflationshysteriker mit der Frage notenbankfinanzierter Staatskredite befassen, während sie die Folgen von Oligopol- und Monopolbildung auf unregulierten Märkten in der Regel nicht einmal im Blickfeld haben. Wenn aber Märkte nur noch von wenigen großen Unternehmen beherrscht werden, wie das heute in Europa auf vielen Märkten der Fall ist, wächst die Gefahr, dass auf steigende Nachfrage nicht mit einer Ausweitung der Produktion, sondern mit steigenden Preisen reagiert wird.
    Auch die Gefahren einer forcierten Privatisierungspolitik sind selten ein Thema in den Inflationsdebatten, obwohl nach Veräußerungen öffentlichen Eigentums in den meisten Fällen die Preise steigen und nicht etwa sinken. Dafür gibt es Gründe. Zu ihnen gehören die deutlich höheren Renditeansprüche privater Unternehmen und die in der Regel weit höheren Managementgehälter. Beides wird in der Folge auf die Preise umgelegt. Dennoch wird in Europa seit langem Druck gemacht, öffentliche Leistungen zu privatisieren, und dieser wird aktuell noch verstärkt.
    Es gibt also manche Entwicklung im heutigen Europa, die die Gefahr steigender Preise in sich birgt. Aber darum ging es nie, wenn gegen Direktkredite der EZB an die Staaten Stimmung gemacht wurde. Es ist genau so, wie der amerikanische Ökonom Michael Hudson formuliert: Die These von der
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