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Freiheit statt Kapitalismus

Freiheit statt Kapitalismus

Titel: Freiheit statt Kapitalismus
Autoren: Sahra Wagenknecht
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gemeinsamer Währung etabliert. Es wurde aber auf jede europäische Angleichung der direkten Steuern verzichtet. Dieses Nebeneinander unterschiedlichster Steuersysteme in einem gemeinsamen Währungsraum lud Konzerne und Anlagekapital zur Steuervermeidung geradezu ein und setzte Länder mit überdurchschnittlichen Sätzen unter Druck. Die Folge war ein europaweiter Steuersenkungswettlauf, der den alten Kontinent mehr und mehr zu einem Steuereldorado für Unternehmen, Spitzenverdiener und Vermögende werden ließ.
    Heute ist die Zahlung von Steuern zweifelhaftes »Privileg« der kleinen Leute, während sich Konzerne und Millionäre aus der Finanzierung der Gemeinwesen weitgehend verabschiedet haben. Die daraus resultierenden Einnahmeausfälle wurden teils durch Ausgabenkürzungen und steigende Verbrauchssteuern, großenteils aber durch steigende Verschuldung ausgeglichen.
    Ganz im Trend wurden auch in Deutschland zwischen 2000 und 2010 eine Reihe von Steuerreformen zum Vorteil der Oberschicht durchgesetzt.Der Spitzensteuersatz sank um mehr als 10 Prozentpunkte und die Konzernsteuern sogar auf weniger als die Hälfte ihres ursprünglichen Werts. Kapitalerträge sind seit Einführung der Abgeltungssteuer gar nicht mehr einkommenssteuerpflichtig und die Erbschaftssteuer wurde bis zur Bedeutungslosigkeit ausgehöhlt. Im Ergebnis verringerten sich die öffentlichen Einnahmen im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt um fast drei Prozentpunkte. Das bedeutet, dass Bund, Länder und Gemeinden heute 75 Milliarden Euro pro Jahr weniger einnehmen, als sie es mit den Steuergesetzen von 1998 tun würden.
    Bedenkt man, dass im gleichen Zeitraum auch erhebliche Steuererhöhungen zulasten der Normalbürger beschlossen wurden, etwa bei der Mehrwertsteuer und anderen Verbrauchssteuern, dürfte die Entlastungswirkung der Steuerpolitik für die Oberschicht sogar bei gut 100 Milliarden Euro jährlich liegen. 100 Milliarden, die der öffentlichen Hand Jahr für Jahr fehlen und die als zusätzliche Einnahmen auf die Konten der Gutbetuchten fließen! Auch diese Steuerpolitik ist Teil des europäischen Verteilungskrieges. Auch sie hat ihr Scherflein dazu beigetragen, die Allgemeinheit ärmer und die großen Unternehmen und Vermögenden reicher zu machen.
    Mindeststeuersätze statt maroder Einnahmen
    Die Einnahmebasis der öffentlichen Haushalte wurde so immer maroder. Wer dafür Verantwortung trägt, sollte rot anlaufen, wenn er das Wort Schuldenbremse auch nur in den Mund nimmt. Die Unredlichkeit des Fiskalpaktes liegt nicht zuletzt darin, eine Fiskalunion in Europa vorzugaukeln, die er gar nicht etabliert. Denn eine echte Fiskalunion wäre keine Sparunion, sondern hätte diesen gravierenden Konstruktionsfehler der Eurozone zu überwinden: den Verzicht auf eine koordinierte Steuerpolitik. Dabei müssten die nationalen Steuersätze nicht exakt angeglichen werden. Festgelegte Untergrenzen für die Besteuerung von Gewinnen, Kapitalerträgen und Vermögen, die zu unterschreiten keinem Land gestattet wäre, wären hinreichend. Vorausgesetzt, dass diese Untergrenzen deutlich höher wären als die durchschnittlichen Steuersätze, die nach anderthalb Jahrzehnten Steuerdumpingwettlauf heute in der Eurozone gelten.
    Der sogenannte Fiskalpakt dagegen will durchaus nichts daran ändern, dass die einzelnen Länder sich mit ihren Steuergesetzen Konkurrenz machen. Er wird ihre Spielräume, die Einnahmen durch eine vernünftige Steuerpolitik zu erhöhen, gerade bei Kapital- und Vermögenssteuern, nicht vergrößern. Aber um jeden Preis – sogar den des Verlusts ihrer Haushaltssouveränität! – sollen die Staaten verpflichtet werden, ihre Schulden zu reduzieren. Wer solche Verträge konstruiert, der will nicht Schulden bremsen. Er will einen Ausverkauf öffentlicher Verantwortung.
    Das »Diktat der leeren Kassen«
    Es ist nicht Dummheit, es ist Kalkül.
Der Spiegel
zitierte kürzlich den früheren Direktor des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, Berater der Bundesregierung und Gründungsmitglied des Sachverständigenrates, Herbert Giersch, Lehrer und Lehrbuchschreiber für zahllose Generationen deutscher Volkswirte. Dieser plädierte in den neunziger Jahren freimütig dafür, den Staat auf dem Wege von Steuersenkungen so arm zu machen, dass »das Diktat der leeren Kassen« und »ein Defizit, das als anstößig gilt« am Ende einen radikalen Abbau öffentlicher Leistungen ermöglicht, ohne dass sich dagegen noch erheblicher Widerstand regt. 2 Dieses
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