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Freakshow

Freakshow

Titel: Freakshow
Autoren: Jörg Juretzka
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versuchte, sie anzusprechen, doch sie war gefangen in ihrem Kummer, völlig unfähig, in irgendeiner Form außer Schluchzen damit umzugehen. Eigentlich eine perfekte Gelegenheit, ihr ein bisschen was heimzuzahlen, doch sie würde sie es eh nicht spüren, und dann erstickte wachsende, beklommene Vorahnung jegliche Rachsucht in mir. Ohne ein weiteres Wort stieg ich zurück in den Wagen.
     
    Der Rauch über dem Gehöft war diesmal nicht beim Verbrennen von Mist entstanden. Er kam aus dem Anbau, aus den vor Hitze zerborstenen Fenstern des von den Geschwistern gemeinsam bewohnten Zimmers, und war nun, da das Feuer drinnen kaum noch Nahrung fand, zu unschlüssigen, auf eine widerwärtig satte Art trägen Schwaden verkommen.
    Vater Grotzki wartete auf mich, und sein Blick bestätigte meine schwärzesten Befürchtungen. »Gott hat es so gewollt«, sagte er, Mund und Augen verkniffen in mörderischer Selbstgerechtigkeit, und seine Mistgabel zitterte unter meiner Nase herum. »Jeder kriegt den Gott, den er verdient«, sagte ich, ging zur Haustür und ließ mich ein.
    Seine Frau sah nicht auf, als ich die Küche querte. Sie stand an einem altertümlichen, holzbefeuerten Herd und rührte in einem großen Bottich herum. Sie wusch Wäsche. So wie wahrscheinlich jede Woche an diesem Tag, zu dieser Stunde. Als wäre nichts geschehen. Ich machte ein paar Schritte den Flur hinunter Richtung Anbau, stoppte an einer offenen Tür. Mitten im mit Devotionalien überfrachteten Wohnzimmer stand der abgenutzte, mit Zetteln beklebte Laptop auf dem Couchtisch, aufgeklappt und eingeschaltet. Wie ein Kind auf dem Heimweg mit einem schlechten Zeugnis blieb ich einfach in der Tür stehen und zögerte den Zeitpunkt des Unausweichlichen hinaus.
    Es lief ein Film, nein, es war mehr ein Zusammenschnitt, ein Trailer, ein Abriss des Filmschaffens der Geschwister, mit einigen Bewohnern des Village in tragenden Rollen, alles unter dem Firmenlogo >Freakshow<. Die Bilder waren nicht schön, und die Darsteller wirkten nicht glücklich. In weiten Teilen war es, wie den Lebensberaterinnen vom Astro-TV beim Sex zuzusehen. Der Gesamteindruck der ganzen Produktion war bestenfalls bizarr, und die Frage, wer bereit war, für solche Filme zu bezahlen, kam und ging. Schließlich riss ich mich los.
    Eine Stahltür trennte den Anbau vom Hauptgebäude, der graue Lack blasig, im oberen Teil komplett verschmort bis aufs nackte Blech. Ein Schlüssel ragte aus dem Schloss und verbrannte mir die Finger, als ich ihn drehen wollte. Ich musste den gehäkelten Untersetzer einer Marienstatue zu Hilfe nehmen, erst beim Schlüssel, dann bei der Klinke. Die Tür schwang auf in einen Glutofen. Nach nur einem Schritt hinein stand ich reglos da, umweht von Zugluft, umknistert von langsam auskühlendem Stahl und Stein, gebannt, gelähmt. Jacob hatte es nur halb aus einem der dafür viel zu schmalen Fenster geschafft. Durch die verkohlte Haut geborstene, gebrochene Rippen zeigten, was für eine unmenschliche Anstrengung ihn der Versuch gekostet haben musste. Johanna, oder ihr geschwärzter, geschrumpfter Torso, war zusammengekrümmt mit den Resten von Bettgestell und Matratze verschmolzen. Ein ausgeglühter Benzinkanister lag auf dem Boden, Verschluss weit offen, hatte wahrscheinlich noch Sprit hervorgegurgelt, als die Flammen schon loderten, als die Schreie schon gellten, als die Stahltür schon wieder ins Schloss gefallen, der Schlüssel herumgedreht worden war. Kurz, als Sein Wille geschah. Ich wollte nur noch raus und sie mir krallen, alle beide, wollte sie mit Gewalt, an den Haaren, hier hineinschleifen und ihnen die Lider aufreißen, damit sie sahen, sehen mussten, was sie angerichtet hatten in ihrem Wahn. Doch sie waren weg, als ich herauskam.
    EPILOG
     
    »Tja«, sagte Frau Spirititolu achselzuckend, »ich hatte Sie vorab über unsere Aufbewahrungsfristen in Kenntnis gesetzt. Die für Ihren Hund ist schon gestern abgelaufen.«
    »Ich war verhindert«, sagte ich, zog ein Bündel Geldscheine aus der Hosentasche und begann, Schein auf Schein in die drehbare Schublade ihres Kassenhäuschens zu blättern.
    »Andererseits«, fuhr sie zögernd fort, Blick starr auf dem Geld, »habe ich noch keine Anweisung gegeben, das Tier einzuschläfern.«
    Ich legte noch einen Schein drauf, dann einen weiteren. Zwei Minuten später sprang mein Hund an mir hoch und jaulte vor Freude. Ich musste ihn auf den Arm nehmen, oder er hätte sich die Operationsnaht wieder aufgerissen, der Dolle.
    »Für eine
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