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Freakshow

Freakshow

Titel: Freakshow
Autoren: Jörg Juretzka
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Anschließend musste ich den Kerl in den Schwitzkasten nehmen, um ihm ohne größeres Blutvergießen die Klebestreifen vom Kopf zu schneiden. Jetzt winselte er nicht länger, sondern stöhnte vor Schmerz und Panik, hielt mir in fiebriger Ungeduld die gefesselten Hände entgegen. Ein weiterer Schnitt, und er wischte sich beidhändig um den Kopf herum, schlug auf ihn ein, steckte sich sämtliche Finger abwechselnd in die Öffnungen von Nase und Ohren, stöhnte furchterregend. Kaum hatte ich ihm auch die Beinfesseln durchtrennt, war er auch schon mit drei langen Sätzen beim neben dem Weg herlaufenden Wassergraben und stürzte sich der Länge nach in die bräunlich-grünlich aufschäumende Mocke.
    Einiges an zuckendem und prustendem Gewälze später kam er, bedeckt von grünem Schleim, wieder hoch. »Doktor!«, stammelte er, Hände an den Schläfen, Finger in den Ohren, Finger in den Nasenlöchern. »Doktor! Schnell!«
    Und schon hatte ich ihn nackt und nass und schlammig auf dem Beifahrersitz hocken.
    Fang, Tür zu, Motor an, Rückwärtsgang.
    »Doktor«, flehte er, zusammengekrümmt, Hände hektisch, fahrig, Augen voller Pein und Horror.
    Da erst erkannte ich ihn.
     
    »Sie haben Glück«, meinte Schwester Rebekka am Empfang der Notaufnahme, nachdem ich ihr, sicher senkrecht und fest auf der Stelle gehalten von zwei uniformierten Polizeibeamten, Alfreds Probleme kurz und knapp geschildert hatte. »Dr. Korthner hat gerade eben den letzten Disco-Messerkämpfer zusammengeflickt.« Damit griff sie den nach wie vor nackten, zuckenden, stöhnenden Alfred recht robust am Arm und führte ihn den Gang hinunter.
    »Nun zu uns«, meinte der eine der beiden Uniformierten, der an meinem linken Ohr.
    Wie das so ist, wenn man es eilig hat und keine rechte Geduld aufbringt für Mülheims ewig rote Ampeln und den sonstigen Wirrwarr an verkehrstechnischen Gängelungen, hatten wir unterwegs eine Streife aufgeschreckt und eingesammelt.
    »Führerschein und Papiere«, raunzte der an meinem rechten Ohr. »Haben Sie getrunken?« Ich seufzte.
     
    Menden seufzte, wie nur er es kann. So ganz aus der Tiefe des Zwerchfells heraus, geradezu guttural. Die Kellenschwenker hatten mich zur Wache schleifen wollen, Aussage aufnehmen, Personalien überprüfen, Blutprobe ziehen und was ihnen nicht noch so alles einfällt, um die Zeit bis zum Schichtwechsel totzuschlagen. Doch die ebenso rotgetönte wie resolute Empfangsschwester hatte mich nicht gehen lassen, bevor nicht Identität und Versichertenstatus des von mir Eingelieferten geklärt waren. Deshalb mussten die Polizisten Rücksprache mit dem Präsidium halten und hatten damit niemand Geringeren als Hauptkommissar Menden auf den Plan gerufen. Nun saßen wir einander über zwei Tässchen Tee in der gemütlich neonhellen Krankenhaus-Cafeteria gegenüber. Der bläuliche Ton des Lichts vertiefte die Falten von Mendens Gesicht, bis man versucht war, >Juchhu< hineinzurufen und auf ein Echo zu warten.
    Er seufzte erneut und betrachtete mich wie ein Hausbesitzer einen unausrottbaren Schimmelbefall. »Ich höre Ihren Namen, Kryszinski, und mein erster Impuls ist, den Dienst zu quittieren. Wie kommt das nur?« Menden liebt es, wenn ich ein bisschen Leben in die Ödnis des Mülheimer Polizeialltags bringe, er kann es einfach nur nicht zeigen.
    »Na los«, forderte er in einem Tonfall, dem Widerwille und Müdigkeit die Luft nahmen, »schildern Sie mir die angebliche Notlage, die Ihrer Ansicht nach gleich ein Dutzend schwere Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung rechtfertigt.«
    »Ich will einen Anwalt«, sagte ich, um ihn ein wenig aus seiner Lethargie zu wecken.
    Er hob ruckartig den Kopf und der Blick seiner fahlen Augen ließ Frost in meinen Wimpern knistern. Also gab ich nach und erzählte ihm den Ablauf der letzten Stunde. Es brachte mir einen weiteren Mendenschen Seufzer ein.
    »Sie fahren zufällig mitten in der Nacht durch den Uhlenhorst, haben dort zufällig einen Beinahe-Unfall mit einem bisher nicht identifizierten Motorroller, biegen dann zufällig in einen eigentlich für den Verkehr gesperrten Waldweg ein, wo Sie zufällig einen bisher ebenfalls noch nicht identifizierten, gefesselten und über und über mit Waldameisen bedeckten Mann finden, mit dem Sie zufällig auch noch flüchtig bekannt sind.«
    »Genau«, bestätigte ich mit großem Ernst. »Ich weiß nicht«, meinte Menden, nahm einen Schluck von seinem Tee und zog, soweit das möglich war, ein noch längeres Gesicht als vorher.
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