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Freakshow

Freakshow

Titel: Freakshow
Autoren: Jörg Juretzka
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bisschen. Wie über einen Witz. Menden, der bis dahin schweigend an der Tür gestanden hatte, klappte sein Handy auf, trat raus auf den Gang und ließ sich murmelnd irgendwohin verbinden. Keine Minute später kam er zurück ins Zimmer. »Alfred Ullrich. Elenor-Nathmann-Stiftung«, sagte er. »In Duisburg-Mündelheim.«
    »Na also«, meinte Hufschmidt zufrieden, und wir alle sahen ihn einen Moment lang an.
     
    »Nein«, sagte Menden. »Auf keinen Fall.« Ich trank Kaffee, Menden einen weiteren Tee, und Alfred löffelte eine Suppe zu Geräuschen, die an Grubenreinigung mittels Saugrüssel erinnerten. Hufschmidt hatte uns dankenswerterweise verlassen. Draußen dämmerte der Tag, was dem Energiesparlicht der Cafeteria einen weiteren Aspekt der Unwirtlichkeit verlieh. Ich fühlte die Nacht in meinen Knochen und hatte keine Lust mehr auf Diskussionen. Doch diese eine musste jetzt noch sein.
    »Um aus Alfred etwas herauszuholen, braucht es Einfühlungsvermögen«, erklärte ich, »und Geduld.«
    »Gleich zwei Ihrer hervorstechendsten Eigenschaften«, konterte Menden.
    »Wir reden hier über versuchte schwere Körperverletzung. Da ist es doch Ihr gesetzlicher Auftrag, alles zu unternehmen, was zur Aufklärung beitragen kann.«
    »Aber nicht, wenn das bedeutet, Sie hinzuzuziehen.« Menden nahm einen Schluck von seinem Tee und blickte drein, als ob er sich am liebsten aus schierem Überdruss suizidieren würde.
    »Alfred vertraut mir«, beharrte ich. »Und ich weiß ihn zu handeln. Mein Vorschlag ist, dass ich ihn mit dem Wagen nach Hause bringe und während der Fahrt in aller Ruhe befrage. Solange er sich gestresst fühlt, kriegt er die Zähne nicht auseinander. Und nach Hufschmidts Vorarbeit dürfte sein Verhältnis zur Polizei für längere Zeit recht stressbelastet sein.«
    Menden gönnte mir einen Augenaufschlag voll düsterster Vorahnungen. So ermutigt, sprach ich rasch weiter. »Doch dafür brauchte ich natürlich …« Ich hatte das so gut wie möglich vorbereitet, die Worte >mit dem Wagen< und >während der Fahrt< sorgfältig eingewebt, und zögerte jetzt dennoch, so nah vor dem Ziel. »… meinen Führerschein.«
    Menden seufzte, wie nur er es kann.
     
    Die Vögel des Waldes piepten. Frühes, flaches Sonnenlicht stach durch die Lücken der Baumkronen. Die Ameisen waren immer noch mit den Reparaturen ihres Haufens beschäftigt. Alfred stand da, in seinem viel zu engen Schlafanzug, viel zu kleine Plastikschlappen an den Füßen, hielt gehörigen Abstand zum Gewimmel und betrachtete die Anstrengungen der bissigen kleinen Krabbler ohne rechte Sympathie.
    »Na«, knurrte ich ihn an, »jetzt stell dich mal nicht doofer, als du bist. Irgendwo müssen deine verdammten Plörren doch abgeblieben sein.« Ja, ich war ein wenig ungehalten mit ihm. Grund war seine halsstarrige Verschwiegenheit. Alles, was ich von ihm wollte, war einen Hinweis auf seine Peiniger. Ich brauchte etwas, und sei es nur ein Häppchen, um Menden damit zu füttern, irgendeine Information, anhand der der Hauptkommissar es vor sich selbst rechtfertigen konnte, mir meinen Lappen wiedergegeben zu haben. Denn wenn ich nichts lieferte, war jetzt schon klar, wie unsere nächste Begegnung ablaufen würde. Ungemütlich, um es kurz zu sagen. Menden hat manchmal eine Art, dass sich fünf Minuten in seiner Gegenwart anfühlen wie eine Nacht in einer Wanne voll Eiswasser. »Also geh sie suchen, oder ich bringe dich in diesem Strampelanzug zurück in die Stiftung.«
    Während der ganzen Fahrt hierher hatte ich Alfred geduldig mit Fragen gelöchert, die mit einem Nicken oder Kopfschütteln zu beantworten gewesen wären. Doch er hatte nur die Arme vor der Brust verschränkt und reglos und schweigend aus dem Seitenfenster geblickt. Ich fand das wenig hilfreich und möglicherweise auch etwas undankbar. Obendrein war ich übernächtigt und hatte genug eigene Probleme am Hals, angefangen bei meinem Hund in den Klauen raffgieriger Geiselnehmer. Das alles addierte sich nun zu einer gewissen Schroffheit im Umgang.
    Alfred ging unschlüssig umher, während ich mich als Spurenleser versuchte. Wie war Alfred hierhergekommen? Es waren gut und gern zwanzig Kilometer von seinem Wohnort in Duisburg-Mündelheim bis hierhin. Wer hatte ihn dann entkleidet und gefesselt? Dieser Abschnitt des Uhlenhorstes bestand aus altem Tannenwald, der Boden ein in hundert Jahren angewachsener, federnder Belag von Nadeln, der Fußabdrücke einfach absorbierte. Mit Schleif- oder Kampfspuren wäre es
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