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Frau Schick räumt auf

Frau Schick räumt auf

Titel: Frau Schick räumt auf
Autoren: Ellen Jacobi
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federleicht.
    Zurück zur Generalprobe in Sachen gute Laune. Das Stück, das Nelly seit ein paar Wochen einstudiert – nein: in echt und in Farbe erlebt – hat den Titel Nellys wunderbare Reise ins Glück . Es ist eine aufregend neue Rolle für sie. Noch dazu eine Hauptrolle! Nelly will sie überzeugend geben, auch wenn die meisten Menschen und vor allem Ricarda das Ganze als Illusionskunst oder absurdes Theater bezeichnen würden – angesichts ihrer Finanzlage und dem, was man Lebenserfahrungen und Reife nennt.
    Nun, die Finanzlage wird sich ab morgen entscheidend bessern, und alles andere auch. Zum Teufel mit der Lebenserfahrung! Man kann täglich neue sammeln. Auch der Pförtner.
    »Sie Ärmster«, wendet Nelly sich entschlossen dem Mann im Glaskasten zu, der sie längst ins Land des Vergessens verabschiedet hat. Er behandelt sie, als sei sie so unsichtbar, wie sie sich in den letzten Jahren oft gefühlt hat. Damit ist endgültig Schluss. »Es muss schrecklich sein, bei so einem Sommerwetter in diesem Kabuff zu hocken.«
    Das Gesicht des Mannes bleibt umwölkt. Ohne von der Zeitung aufzusehen, schubst er die Dokumentenschublade unter der Trennscheibe hervor. »Einfach reinlegen.«
    Mich oder die Steuererklärung?, denkt Nelly. Sie sagt es aber nicht. Von Nelly, der Kratzbürste, hat sie sich dank Yoga und Meditation ebenfalls verabschiedet. Kurzes Ommm, dann versucht sie es weiter mit guter Laune, dem Wetter und positivem Denken: »Wenigstens sind die Abende noch recht lang, da hat man nach Feierabend noch etwas davon.«
    »Für sechs Uhr ist Regen angesagt.« Als Miesepeter hat der Pförtner Routine.
    »Unmöglich. Der Himmel ist von unendlichem Blau«, widerspricht Nelly tapfer. Gut, das klingt ein wenig zu lyrisch für den Alltagsgebrauch und erst recht für den Pförtner.
    »Tatsächlich«, brummt er. Immerhin hebt er seinen Blick und lässt ihn zu den nikotingelben Gardinen wandern, die ihn wahrscheinlich an die glücklichen Zeiten vor dem Rauchverbot erinnern. Sie filtern das Licht der Augustsonne zu einem schmutzigen Grau. Demonstrativ vertieft er sich wieder in die balkendicke Zeitungsschlagzeile.
    Es scheint sich um finstere Neuigkeiten zu handeln. Auf diese hat Nelly jedoch überhaupt keine Lust. Sie will nicht vom allgemeinen Jammer angesteckt werden. Trotzdem kneift Nelly die Augen zusammen und buchstabiert die auf dem Kopf stehenden Buchstaben: »TV-Star beschimpft ZDF-Traumschiff als Mumienschlepper und schwimmenden Rentnerknast.« Unterzeile: »Sind wir mit sechzig plus zu alt für Romantik und Glück?«
    Dafür ist man nie zu alt, auch nicht mit vierzig plus, findet Nelly.
    »Und das sagst ausgerechnet du?«, mischt sich Ricarda in ihre Gedanken. »Bist du nicht die Frau, der ich mal ein Jahresabo für Parship geschenkt habe, das sie nach drei Wochen entnervt gekündigt hat?«
    »Da war kein Mann für mich bei.«
    »Bei mehr als einer Million männlicher Teilnehmer auf Liebessuche ist keiner für dich dabei? Mein Gott, wie anspruchsvoll kann man noch sein?«
    »Ich hasse es, wenn man Sehnsucht und Gefühle für Geschäfte missbraucht. Noch dazu im Internet. Ich bin nicht anspruchsvoll. Ich bin romantisch.«
    »Ihr Romantiker seid eine verdammt grausame Spezies. Alle real existierenden Menschen sind in euren Augen minderbemittelte Trottel, die eurer Einzigartigkeit nicht würdig sind. Aber wenn dir das Internet nicht passt – warum versuchst du es dann nicht endlich mit der Realität und deinem Nachbarn? Der arme Ferdinand Fellmann sitzt seit drei Jahren regelmäßig auf deinem Sofa, um dir seine Liebe in tausendundeiner Variante zu verschweigen.«
    »Ach der …« Fellmann ist so romantisch wie Rheumawäsche oder ihr jährlicher Rentenbescheid.
    »Das ist kein Grund, den armen Kerl wie eine Nachttischlampe zu behandeln! Schön, dass es sie gibt, und wenn es mal ein bisschen düster in deinem Leben wird, knipst du sie an.«
    »Ferdinand hat in meinem Schlafzimmer nicht einmal als Nachttischlampe etwas zu suchen.«
    »Dann sag ihm das deutlich, und erlöse ihn von allem Übel und für den Rest der Frauenwelt. Ein Mann wie Ferdinand ist zu kostbar und zu selten, um als Dekomobiliar eines unbelehrbaren Frauenzimmers zu verstauben.«
    Nelly unterdrückt einen Seufzer und flüchtet sich zurück in Gegenwart und Finanzamt. Gegen Ricarda gewinnt sie nicht einmal in ihrem eigenen Kopf ein Duell. Sie nestelt ihre Einkommensteuererklärung aus ihrer Aktentasche, wiegt den grässlich amtsbraunen
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