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Frau Schick räumt auf

Frau Schick räumt auf

Titel: Frau Schick räumt auf
Autoren: Ellen Jacobi
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Umschlag behält er noch immer als Geisel in der Hand. Seinen vielsagenden Blick übersetzt Nelly als eindeutige Botschaft: »Wir sind noch lange nicht fertig miteinander.«
    Nellys Lächeln hält dennoch. Es kommt ja auch wirklich von Herzen. Sie könnte die ganze Welt umarmen. So fühlt man sich eben, wenn man verliebt ist. Wirklich verliebt. Und das auch noch in Pamplona.
    »Alles nur eine vorübergehende Form des Wahnsinns«, lästert schon wieder Ricarda. »Liebe ist etwas anderes und ziemlich selten. Die meisten Beziehungen sind faule Kompromisse oder scheitern. Die Menschen fangen nur deshalb ständig neue an, weil sie sich so sehr wünschen, dass Liebe für immer und ewig halten kann. Bis zum nächsten Versuch.«
    »Klappe! Dich überzeuge ich später vom Gegenteil!«, wehrt sich Nelly.
    Der Pförtner lässt seine Lesebrille artistisch zwischen Daumen und Zeigefinger rotieren und erläutert dem Anrufer betont herzlich Ziffer 46c der Anlage UST für Umsatzsteuer. Er kann also auch anders. Nelly rümpft dennoch die Nase: Sein Verschlag dünstet den deprimierenden Geruch von Bürokaffee und Stempeltinte aus und keinen Hauch von Pamplona und Cava mit Zitrusnote und Neubeginn.
    Ommm!
    Der Ärmste! Ist sie in den letzten Jahren nicht selbst oft wie die Nadel eines alten Plattenspielers in der gleichen Rille hängengeblieben, weil ihre Lebensmelodie einen Sprung hatte und sie zu feige, träge und verbittert war, um eine andere Platte aufzulegen? Eine, die ihr Herz wieder zum Singen bringen würde? Sie drohte mit Blick auf Billy-Regale und Romantikkomödien im DVD-Player so beiläufig ins letzte Lebensdrittel hinüberzugleiten, wie Kinder die Milchzähne verlieren. Ohne große Gefühle. Die erlebte sie nur auf dem Bildschirm und in Filmen wie Liebe braucht keine Ferien, Tatsächlich Liebe oder Die wilden Hühner und die Liebe . Letzteres, wenn Becky dicht angekuschelt neben ihr lag. Im Rückblick waren das die schönsten Abende, auch wenn sie sich dem Film- und Süßigkeitengeschmack ihrer Tochter beugen musste: Schokoküsse, Esspapier und Colaschnüre. Eine Hälfte für Becky, eine für Mama. Die Hälfte für Mama hatte zeitweise fatale Folgen für ihre Figur und auf immer für ihre Geschmacksnerven. Sie liebt Colaschnüre inzwischen leidenschaftlich, auch wenn sie ihrer Tochter gegenüber stets standhaft das Gegenteil behauptet und Möhrenstifte zu den Colaschnüren serviert hat. Vor allem, wenn Ricarda dabei war, die Frau, die es geschafft hat, eine gute Figur, ein selbstbestimmtes Leben und ihre Karriere zu behalten.
    »Ach Nelly«, unterbricht Ricarda sie mit leisem Kopfschütteln. »Anderer Leute Brot schmeckt immer nach Kuchen. Mich haben sie jetzt in die Best-Ager-Werbung verbannt. Das ist wie Hiphop-Tanzen im Minenfeld. Ich muss alles vermeiden, was nach Altsein klingt, unvermeidliche Gebrechen als Wellnesserlebnis vermarkten und Rollator-Hersteller für Anzeigen in Rätselheften begeistern. Was heißt schon Karriere? Ich hatte fünf Minuten Werberuhm, habe ein paar Kampagnenpreise zum Abstauben im Regal, aber weder eine Beziehungsbiografie mit Tiefgang noch eine Becky.«
    »Bereust du dein Leben?«
    »Keine Sekunde, aber jede Entscheidung hat ihren Preis. Die wenigsten von uns sind gleichzeitig Bundesministerin und siebenfache Mutter geworden, schon gar nicht, wenn sie aus Interesse Germanistik oder Psychologie studiert haben wie wir. Du hast es immerhin zur Mutter mit Übersetzerdiplom gebracht und eine Scheidung der herben Sorte überlebt. Kein Grund, sich zu schämen oder sich gramgebeugt durch den Rest des Lebens zu schleppen.«
    Der Gedanke an Becky im Flauschbademantel voller Esspapierkrümel und Schokoflecken versetzt Nelly einen Stich. Nicht dran denken, zwingt sie sich. Becky ist inzwischen fünfzehn. Sie trägt keine Tabaluga-Pantoffeln mehr und hält weder die Wilden Hühner für cool noch ihre Mama für die Beste – was Nelly selbst nie getan hat. Lange vorbei sind die Zeiten, in denen Becky ein »Mutterbrot« von ihr verlangte, bei Regen ihre »Bummipiefel« nicht anziehen wollte oder ihr »wangleilig« war. Mit kleinen Kindern ist es seltsam: Die Tage mit ihnen dehnen sich endlos bis an die Schmerzgrenze, vor allem im Winter und wenn sie krank sind, aber die Jahre mit ihnen fliegen nur so dahin.
    Hat Nelly nicht unglaublich viel versäumt und der kleinen, unfassbar hinreißenden Becky oft mehr versprochen, als sie halten konnte? Etwa den Planwagentrip durch Irland, den Ausflug ins
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